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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Zwischen Romantik und harter Realität: Ist die PFLP eine revolutionäre Kraft?

Nicht erst seit dem 7. Oktober bekunden anti-imperialistische und revolutionäre Organisationen ihre Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf. Als ein wichtiger Bezugspunkt besonders für sozialistische und kommunistische Kräfte gilt dabei die „Volksfront zur Befreiung Palästinas“, die PFLP. Doch wie revolutionär ist diese Organisation wirklich? – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.

Die PFLP (vom Englischen: „Popular Front for the Liberation of Palestine, deutsch: Volksfront zur Befreiung Palästinas) ist für viele Linke in Deutschland so etwas wie eine sozialistische Hoffnungsträgerin inmitten des palästinensischen Befreiungskampfs. Auch seit dem 7. Oktober wird wieder verstärkt von der Teilnahme der linken PFLP am bewaffneten Befreiungskampf des palästinensischen Volkes berichtet.

Das geschieht auch in Reaktion auf die permanente pauschale Verleumdung der Solidarität mit dem palästinensischen Kampf als antisemitisch, reaktionär und islamistisch. Die PFLP kämpfe aber mit, heißt es dann von Vielen oft als verkürzte Antwort. Damit gemeint ist dann, dass es im palästinensischen Befreiungskampf eine fortschrittliche, sogar marxistische Kraft gäbe, die es zu unterstützen gelte.

Vor einigen Wochen jedoch kursierte über diverse Social Media-Kanäle inmitten von Berichten und Updates über die Kampfhandlungen in Gaza ein Kurzvideo, in dem ein bewaffneter PFLP-Sprecher dem Iran und den iranischen Revolutionsgarden Dank ausspricht. Die PFLP und der Iran haben die gemeinsame Bestimmung, Israel zu besiegen, heißt es in dem Statement weiter.

Obwohl das Video bereits mindestens zwei Jahre alt ist und die Unterstützung der PFLP durch den Iran längst kein Geheimnis mehr war, zeigten sich viele palästina-solidarische Gruppen in Deutschland überrascht: Ist die PFLP eine Anhängerin des iranischen islamisch-fundamentalistischen Regimes, das unter anderem auch den kurdischen Befreiungskampf und die Frauenrevolution unterdrückt?

Die kurze Antwort auf die Frage lautet: Ja, die PFLP lässt sich vom Iran unterstützen und lobt das iranische Regime als Fahnenträgerin des Kampfes gegen den US-amerikanischen Imperialismus. Doch die eigentliche Frage sollte lauten: Wie sollen revolutionäre Kräfte in Deutschland mit dieser Tatsache umgehen?

Die Sehnsucht nach dem marxistischen palästinensischen Widerstand der 1970er Jahre

In der Betrachtung der PLFP steckt seit Jahrzehnten eine gewisse Romantisierung. Nachdem sich die Partei 1967 gegründet hatte, wurde sie in den 70er Jahren zur führenden Kraft des palästinensischen Widerstandes. Leila Khaled und Ghassan Kanafani, aber auch George Habash oder George Abdallah sind auch heute noch viel zitierte Ikonen des palästinensischen Befreiungskampfes. In den 70er und 80er Jahren prägte die PFLP den Kampf für ein befreites Palästina vor allem durch ihre unbeugsame Haltung gegen jedes Zurückweichen von der Forderung nach der Rückkehr aller Palästinenser:innen in ihre Heimatorte.

Auch ihr Vorantreiben der Emanzipation der arabischen Frauen und die Organisierung von Bäuer:innen waren lange wichtige Bestandteile des palästinensischen Kampfes. In den 70er und 80er Jahren galt darüber hinaus die militärische Organisierung der PFLP als Vorbild für viele revolutionäre Kräfte. Sowohl die deutsche Rote Armee Fraktion (RAF) als auch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wurden von der PFLP in den Methoden und Taktiken des Guerilla-Krieges geschult.

Die PFLP hob darüber hinaus stets hervor, dass die palästinensische Sache eine internationale Sache sei und schuf – auch durch spektakuläre Kommando-Aktionen wie Flugzeugentführungen – ein weltweites Bewusstsein für den palästinensischen Befreiungskampf, auch wenn es schon damals aus linken Kreisen Kritiken an ihrem Vorgehen gab – etwa an der Entführung des Flugzeugs „Landshut“ durch eine PFLP-Abspaltung. Hier wurde etwa später durch die RAF kritisiert, dass Teile des Volks gefangen genommen wurden um die Befreiung von Gefangenen zu realisieren.

Dies ist ein Beispiel dafür, dass die Erinnerung sozialistischer Gruppen einige Errungenschaften der Organisation durchaus verklärt sind. Denn die „Front“ war noch nie eine rein marxistische oder gar marxistisch-leninistische Organisation. Stattdessen vermengte sie schon immer panarabische und nationalistische Elemente mit marxistischen Versatzstücken sowie maoistischen Ideen.

In ihrem programmatischen Text „Strategie für die Befreiung Palästinas“ aus dem Jahr 1969 adaptierte die PFLP die maoistische Frage nach den Freunden und Feinden des eigenen Kampfes und stellte ein umfassendes Freund-Feind-Schema vor. Die arabischen quasi-feudalen Staaten und die arabischen, vom Westen abhängigen Kapitalist:innen sind dort klar als Feinde der palästinensischen Sache benannt. Die nationalen Befreiungsbewegungen in anderen arabischen Ländern, gerichtet gegen die pro-israelischen und vom US-Imperialismus abhängigen Staaten, sind gleichzeitig als Verbündete beschrieben.

Und heute? Im Wissen um die gegenwärtige Unterstützung der PFLP von Assads Regime in Syrien könnte man zum Beispiel leicht in Versuchung kommen, der „Front“ vorzuwerfen, von der 1969 beschriebenen Strategie grundsätzlich abgekommen zu sein. Doch tatsächlich ist die Unterstützung der PFLP für das syrische Regime – und auch für den Iran – keine Abweichung von ihrer Grundideologie, sondern Ausdruck des Widerspruchs, der sich aus dem unbedingten Willen des Bündnisses mit allen gegen den US-Imperialismus und den Zionismus gerichteten Kräfte ergibt. Die Rechnung, die die PFLP aufstellt, lautet folgendermaßen: Iran und Assad sind gegen die USA, das palästinensische Volk ist vom Zionismus und somit vom US-Imperialismus unterdrückt, also müssen wir uns mit dem Iran und Assad verbünden.

Das heißt: Waren in den 60ern und 70ern noch sowjetische Gelder und Waffen die dringend benötigten Hilfsmittel im Kampf gegen den US-Imperialismus, so sind es heute die iranischen Kriegsmaterialien und die iranische finanzielle Unterstützung. Damit geht auch eine ideologische Umorientierung einher: In gewisser Weise ist es heute für die PFLP opportun, auch islamistischen Ideen gegenüber offen zu sein und keine komplette Ablehnung zu zeigen. Dass die PFLP durchaus mit dieser ideologischen Flexibilität aufwarten kann, ist auch eine Folge des ideologischen Mosaiks, das seit ihrer Gründung charakteristisch für sie ist.

Auch die Entscheidung der PFLP für das Mitkämpfen in einer umfassenden Einheitsfront gegen den Zionismus, die auch islamistische Kräfte wie die Hamas umfasst, lässt sich so erklären. Sicherlich wurde diese Entscheidung auch angesichts der eigenen Schwäche und der Schwäche der sozialistischen Bewegungen weltweit getroffen – schließlich ist es heute für die PFLP schlicht nicht realistisch, selbstständig ideologisch und militärisch den Widerstand in Palästina zu führen. Als Folge dieser Einheitsfront erklären PFLP-Vertreter:innen mittlerweile den Islamismus als organischen Teil des palästinensischen Volkswiderstandes.

Müssen sich revolutionäre Kräfte von der PFLP entsolidarisieren?

Revolutionäre Kräfte sollten in ihrer Bewertung der „Front“ keine moralistischen oder romantischen Scheinargumente vorbringen: Weder macht die Zusammenarbeit mit islamistischen Kräften oder das Annehmen der Schützenhilfe durch den Iran die PFLP oder den palästinensischen Widerstand insgesamt zu einer nicht-antiimperialistischen Sache. Noch ist allein die Anwesenheit der PFLP an sich ein Garant dafür, dass der palästinensische Widerstand stets eine fortschrittliche Qualität hat.

Der nationale Befreiungskampf ist schließlich kein Wunschkonzert, bei dem sich Sozialist:innen, schon gar nicht Sozialist:innen hier in Deutschland, aussuchen können, wer welche Töne anschlägt und wer die erste Geige spielt. Zur realistischen Einschätzung des palästinensischen nationalen Befreiungskampfes gehört die Anerkennung der Tatsache, dass gegenwärtig islamistische Kräfte die Führung innehaben, während sozialistische und fortschrittliche Kräfte oft nur eine Nebenrolle spielen, dazu.

Der reine Existenzkampf des palästinensischen Volkes hat bei der PFLP vielmehr dazu geführt, sich ideologisch auf die Bekämpfung des Zionismus mit allen erdenklichen nationalistischen Mitteln und islamistischen Verbündeten festzulegen.

Ob das die richtige revolutionäre Strategie für die Befreiung des palästinensischen Volkes ist, wird sich zeigen. Gerade bei der „islamischen Revolution“ 1979 im Iran ging es den Kommunist:innen an den Kragen, nachdem der Schah gestürtzt worden war.

Es werden Momente kommen, in denen die PFLP Farbe bekennen muss. Wenn wir uns vorstellen, dass sich das palästinensische Volk tatsächlich die Freiheit von der zionistischen Unterdrückung erkämpft, dann stellen sich für „die Front“ wichtige Fragen: Akzeptiert sie eine iranische Herrschaft über Palästina oder richtet sie sich gegen den Iran? Führt die PFLP nach der nationalen Befreing den Klassenkampf für den Sozialismus fort oder verwaltet sie die nationale (Schein-)Selbstständigkeit? Sucht die PLFP den Schulterschluss mit den Arbeiter:innenklassen in den anderen Ländern der Region jenseits ethnischer Kategorien oder besteht sie auf dem Panarabismus? Anhand der Antworten, die die „Front“ auf diese Fragen geben muss, sollte sie bewertet werden.

Was, schließlich, bedeutet das für revolutionäre Kräfte in Deutschland? Hier müssen wir erkennen, dass die Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf nicht einfach an die Politik der PFLP geknüpft sein sollte. Die „Front“ trifft durchaus fragwürdige Entscheidungen – und dass sie sich von den islamischen Fundamentalisten – vielleicht auch gegen ihren Willen – vereinnahmen lässt, ist eine reale Möglichkeit. So muss zur Bewertung der PFLP schon heute gehören, dass sie sich inmitten der Einheitsfront und des laufenden nationalen Befreiungskampfes nicht oder nur sehr zaghaft für ein zukünftiges sozialistisches Palästina ausspricht. Deswegen sollten Sozialist:innen in Deutschland aber nicht davon abweichen, weiterhin die Notwendigkeit eines sozialistischen Palästinas – hervorgegangen aus einer sozialistischen Revolution in der ganzen Region – zu betonen und als einzige Möglichkeit für dauerhaften Frieden herauszustellen.

Parallel dazu müssen Sozialist:innen in Deutschland ihre eigene große Aufgabe erfüllen: Die Befreiung der Völker in Westasien benötigt eine Unterstützung einer starken klassenkämpferischen Bewegung und eines starken sozialistischen Pols in Deutschland und anderen imperialistischen Ländern. Damit werden die Bedingungen auch für wirklich sozialistische Kräfte in dieser Region verbessert, wenn sie sich auf konkrete Bündnispartner:innen stützen können.

Mohannad Lamees
Mohannad Lamees
Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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