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Dienstag, Oktober 15, 2024
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    Gegen AfD, Regierung und Kapitalismus

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    Großdemonstrationen gegen Faschismus machen Mut angesichts dauerhafter politischer Entwicklungen Richtung rechts. Die bürgerliche Demokratie wird uns aber nicht retten können. Das können wir als betroffene Arbeiter:innen nur selbst. – Ein Kommentar von Ivan Barker

    „This is what democracy looks like! (So sieht Demokratie aus!)“, schallt es von den Bühnen. Hunderttausende Demonstrant:innen gegen Rechts in Hamburg, München und Berlin, tausende auch in Cottbus, Jena und Schwerin. Die deutsche Gesellschaft steht auf gegen Abschiebungen, Rassismus und Faschismus, könnte man meinen. Mittendrin aber auch SPD, Grüne, FDP und CDU – Parteien, die alle schon in verschiedenen Regierungen unter anderem für unzählige Abschiebungen verantwortlich waren.

    Faschistisches Treffen löste Proteste aus

    Die Recherche des Netzwerkes Correctiv, die ein Treffen von rechten Ideologen, Politiker:innen aus AfD und CDU und Unternehmer:innen offen legte, war der Auslöser für die zahlreichen Demonstrationen in den letzten Wochen, die sich vor allem gegen die AfD richteten. Das zentrale Thema des Treffens war das faschistische Konzept der „Remigration“. Vorgestellt wurde es von Martin Sellner, einem der theoretischen Köpfe der sogenannten Neuen Rechten.

    Er erklärte verschiedenen Politiker:innen aus AfD und CDU, Unternehmer:innen und weiteren Gästen verschiedener Organisationen den nicht sonderlich geheimen Plan der faschistischen Bewegung, millionenfach Migrant:innen aus Deutschland zu vertreiben. Ziel dieser Vertreibung ist, einen „Ethnostaat“ aus nur „reinen“ Deutschen zu schaffen. In der faschistischen Ideologie, der Sellner folgt, besteht die Welt aus kulturell einheitlichen „Ethnien“, auf deren Basis die Nationalstaaten organisiert sein sollen. Die Durchmischung verschiedener Kulturen wird abgelehnt, und insbesondere die westeuropäischen Gemeinschaften müssten davor „beschützt“ werden, durch andere Völker „ersetzt“ zu werden.

    Die Enthüllung, dass sich die AfD mit den Größen der faschistischen Bewegung trifft, war für viele Menschen erschreckend genug, um in erfreulich großer Zahl auf die Straße zu gehen. Doch ehrliche Antifaschist:innen mögen sich auch erschreckt haben, als auf einmal Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock in Potsdam neben ihnen standen, oder CDU-Chef Friedrich Merz die Proteste begrüßte. Der gleiche Scholz, der im großen Stil abschieben möchte, die gleiche Baerbock, die Waffen nach Saudi-Arabien liefert und der gleiche Merz, der Lügen über Leistungen für Geflüchtete verbreitet.

    Bürgerliche Demokratie in Deutschland

    Um uns in Zukunft weitere böse Überraschungen zu ersparen, lohnt es sich, über die reine Abgrenzung von der AfD hinaus zu gehen. Wir sollten hinterfragen, ob die Politiker:innen der anderen Parteien tatsächlich binnen weniger Wochen nun nach links gerückt sind.

    Dafür müssen wir uns ansehen, wie die sogenannte Demokratie in Deutschland aussieht. Ihre Grundlage ist eine kapitalistische Wirtschaft, die in diesem Land von großen Monopolen dominiert wird. Die Erzielung von gigantischen Profiten für diese Monopole ist seit über hundert Jahren das oberste Ziel, dem sich alle anderen Bereiche der Gesellschaft unterordnen sollen. Dafür, dass das möglichst reibungslos passieren kann, ist der Staat zuständig.

    Er setzt den gesetzlichen Rahmen fest, organisiert die Finanzierung für unprofitable aber notwendige Teile der Infrastruktur durch Steuern und soll die am kürzeren Hebel dieses Systems sitzenden Arbeiter:innen ruhig halten. Zur Erfüllung dieser Aufgaben dienen zum Beispiel Gesetze, die Unternehmen Steuergeschenke in Milliardenhöhe machen, die Verstaatlichung von verlustreichen Konzernen und die Fortschreibung des Rechts auf Privateigentum.

    Bei dieser Demokratie handelt es sich deshalb um eine bürgerliche Demokratie. Es ist keine „Herrschaft des Volks“, sondern eine Herrschaft des Kapitals über die Arbeiter:innen. Diese Herrschaft vertreten alle Parteien im Parlament, ganz unabhängig von ihrem Namen oder ihrer politischen Farbe. Die deutsche Demokratie grundsätzlich zu verteidigen, wozu auf manchen Demonstrationen aufgerufen wird, liegt deswegen in keinem Fall im Interesse von uns als Arbeiter:innen. Die Inszenierung des ehrlichen Kampfes gegen den Faschismus als Kampf für diese Demokratie liegt aber durchaus im Interesse einer SPD, CDU und Co.

    Scholz, Baerbock und Merz sind also nicht im Angesicht der AfD zu Antirassist:innen geworden, sondern sie nutzen diese Gelegenheit, von ihren eigenen Krisen und ihrer menschenfeindlichen Asylpolitik abzulenken. Das parallel zu den Demonstrationen beschlossene Rückführungsverbesserungsgesetz und die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, die von der Ampel-Regierung durchgesetzt wurden, sollten wir nicht vergessen. Damit setzen die oben Genannten mit ihren Gefolgsleuten schlussendlich nur zeitversetzt Forderungen der AfD und anderer Faschist:innen durch, gegen die sie angeblich heute auf der Straße sind. So werden Abschiebungen leichter gemacht, die Polizei wird mit mehr Befugnissen ausgestattet, Aufenthalts- und Einreiseverbote werden verschärft, die Abschiebehaft verlängert und sogar Seenotretter:innen können strafrechtlich verfolgt werden.

    „Alle“ gegen den Faschismus?

    Manch einer mag die Situation trotzdem als so drängend empfinden, dass die Losung „Alle zusammen gegen den Faschismus“ auch den Einbezug aller möglichen bürgerlichen Parteien und Kräfte rechtfertigt. Von den großen Zahlen an Demonstrierenden, die dadurch vielleicht zustande kommen, dürfen wir uns aber nicht blenden lassen.

    Erstens wäre eine Regierung mit Beteiligung der AfD oder Werteunion noch nicht automatisch die Wiederkehr einer faschistischen Diktatur. Der Faschismus an der Macht ist der offen terroristische, radikalste Ausdruck einer Herrschaft der großen Monopole. Seine Einführung hängt nicht vorrangig von Wahlergebnissen ab, sondern davon, ob ein genügend großer Teil der Herrschenden ihn für notwendig hält, um ihre Macht zu erhalten. In dem Moment, wo Faschismus zum Beispiel gebraucht wird, um einen Krieg zu beginnen oder einen Aufstand der Arbeiter:innen nieder zu schlagen, spielt es keine Rolle, welche Koalition gerade in der Regierung sitzt. Dennoch würde eine AfD-Regierung höchstwahrscheinlich den langfristigen Umbau des Staats für genau solch eine offene Terrorherrschaft eher umsetzen.

    Aber auch solange er nicht an der Macht ist, erfüllt der Faschismus eine wichtige Funktion in der kapitalistischen Gesellschaft. So treibt er im Parlament genau die Rechtsentwicklung der anderen Parteien voran, die wir in den letzten Jahren in Deutschland beobachten konnten. Durch immer weitere Zugeständnisse an die – noch einen Schritt weiter gehenden – Forderungen der AfD können sie heute schon den Abbau demokratischer Grundrechte umsetzen.

    Außerhalb des Parlaments sorgen faschistische Terrornetzwerke jetzt schon für Angst und Schrecken, ermorden Migrant:innen, greifen LGBTI+-Demonstrationen an oder fertigen Todeslisten von Antifaschist:innen. Die faschistische Ideologie hetzt verschiedene Teile der Arbeiter:innenklasse gegeneinander auf, um sie vom gemeinsamen Klassenkampf gegen die Kapitalist:innen abzuhalten.

    Diese verschiedenen Teile der faschistischen Bewegung gehören zusammen und zwischen ihnen gibt es zahlreiche Überschneidungen, von den bewaffneten Soldat:innen über die Intellektuellen am Schreibtisch bis in das Parlament hinein sind sie miteinander verwoben. Das im Januar aufgedeckte Treffen ist nur eine Momentaufnahme von vielen gemeinsamen Vernetzungen, die seit Jahren kontinuierlich stattfinden. Menschen wie Sellner liefern die strategische Ausrichtung, beraten sich mit Parlamentarier:innen, organisieren zusammen diverse Finanzierungen mithilfe zahlreicher Milliardäre und unterhalten Kontakte zu Terrornetzwerken, wie dem 2018 zum Teil aufgedeckten Kreuz-Netzwerk.

    Zweitens entspringt der Faschismus genauso der kapitalistischen Wirtschaftsordnung wie die parlamentarische Demokratie und war in seiner Entstehung vor allem eine Reaktion auf die starke Arbeiter:innenbewegung nach dem Ersten Weltkrieg. Zwar liegen deutliche Unterschiede zwischen einer „friedlichen“ Diktatur des Kapitals und einer faschistischen Terrorherrschaft. Eine bürgerliche Demokratie ist aber in keiner Weise eine Absicherung gegen den Faschismus. So können Parteien, die diese „Grundordnung“ bis aufs letzte beschützen wollen, keine Bündnispartner:innen für einen konsequenten Kampf gegen den Faschismus sein.

    Den Protesten echte Schlagkraft geben

    Angesichts der realen Stärke der faschistischen Bewegung in Deutschland wird deutlich, dass einzelne Demonstrationen nicht ausreichen werden, um ihr langfristig etwas entgegen zu setzen. Selbst wenn Hunderttausende an ihnen teilnehmen, kann ihre Wirkung ebenso schnell verpuffen, wie sie ins Leben gerufen wurden. Um nachhaltig etwas verändern zu können, fehlen den Protesten heute noch wichtige Elemente.

    Zum einen ist das eben die Konsequenz, nicht nur die AfD als rassistische Scharfmacher zu entlarven, sondern auch die anderen bürgerlichen Parteien für ihre Politik zur Rechenschaft zu ziehen. Wen faschistische Träume von massenhaften Deportationen stören, der sollte heute schon gegen den Massenmord an der EU-Außengrenze auf dem Mittelmeer aktiv werden und den Asylgesetzen der Ampel den Kampf ansagen. Dazu kommt, den Ursprung des Rassismus und z.B. seiner Einteilung von Migrant:innen in „gute Fachkräfte“ und „störende Flüchtlinge“ im Kapitalismus zu erkennen und auch hieraus konsequente Schlussfolgerungen zu ziehen.

    Wollen wir den Protest nicht unter der ideologischen Führung der Ampel belassen, müssen wir uns als Arbeiter:innen dort Gehör verschaffen. Eine breite Beteiligung können wir nur ausnutzen, wenn wir uns inhaltlich nicht die Zähne ziehen lassen. Wir müssen die Verbindungen ziehen zur wirtschaftlichen Entwicklung, den Haushaltskürzungen und den internationalen Konflikten, die das Leben für tausende Arbeiter:innen unsicher machen und sie so in die Arme der Faschist:innen treiben.

    Weitere Menschen zu erreichen funktioniert dabei nicht von allein, sondern nur durch klassenkämpferische Organisationen, in denen wir uns über alle Spaltungslinien hinweg organisieren können. Wir werden alle paar Monate nett auf die Straße gehen können und trotzdem im äußersten Fall im Faschismus landen, wenn wir nicht unsere Seite, die Seite der Arbeiter:innenklasse, durch diese Aktionen stärken und real eine Alternative zum Teufelskreis des Kapitalismus bieten können.

    Unsere gesellschaftliche Alternative ist und bleibt als arbeitende Menschen der Sozialismus. Zwar haben sich die Kapitalist:innen in den letzten Jahrzehnten die größte Mühe gegeben, Sozialismus und Faschismus als zwei Seiten der selben „Totalitarismus“-Medaille darzustellen, doch sowohl die Geschichte als auch die Situation heute zeigen, welche Gesellschaftssysteme in Wirklichkeit miteinander zusammenhängen. Der Kampf gegen den Faschismus kann nur erfolgreich sein, wenn er sich auch gegen den Kapitalismus richtet und mit dem Einsatz für den Sozialismus verbunden ist. Ein Sturz der steinreichen Besitzer:innen der Monopolkonzerne von ihrem hohen Thron ist die Voraussetzung für eine Welt, in der wir wirklich ohne die Angst vor dem faschistischen Terror leben können.

    • Hier berichtet die Perspektive-Redaktion aktuell und unabhängig

    • Perspektive-Autor seit 2019 sowie Redakteur der Printausgabe. Auszubildender in der Metallindustrie in Berlin und Hobbykünstler.

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