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Sonntag, April 28, 2024
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    Aserbaidschan droht mit Einverleibung Armeniens

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    Im September vergangenen Jahres kam es zur militärischen und politischen Eroberung der Republik Artsakh (Berg-Karabach) durch Aserbaidschan. Damit einher ging die nahezu komplette Vertreibung der armenischen Bevölkerung. Nun drangsaliert der aserbaidschanische Faschismus unverhohlen die Republik Armenien und die dort lebenden Armenier:innen. – Ein Kommentar von Emanuel Checkerdemian.

    Folgt man der Definition von „Völkermord“, welche die Vereinten Nationen 1948 in ihrer „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ festhielt, so liegt ein solcher vor, wenn „eine der folgenden Handlungen […] in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören:

    • a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe;
    • b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe;
    • c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen;
    • d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind;
    • e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.“

    Nun sind die Vereinten Nationen als Institution im Allgemeinen und auch diese Resolution im Besonderen in vielerlei Hinsicht durchaus kritikwürdig. Jedoch weist sie eben auch darauf hin, dass der „Konflikt um das mehrheitlich von Armenier:innen bewohnte Berg-Karabach“, wie es in der Medienlandschaft immer wieder genannt wird, die Grundlagen für die Bewertung als Genozid weitgehend erfüllt.

    So wurden die Armenier:innen zunächst über Monate ausgehungert, durch Blockaden von der medizinischen und Lebensmittelversorgung und im Winter von der Heizmittelversorgung abgeschnitten. Immer wieder kam es in dieser Zeit auch zu gezielten Übergriffen auf armenische Zivilist:innen und Militärs, die sich in Mord, Verstümmelungen und anderer Folter oder Leichenschändung äußerte.

    Zuletzt vertrieb man die 120.000 Menschen, die vormals die kleine Republik bewohnten, und verleibte das Gebiet dem eigenen Staat ein. Seitdem ist Artsakh totes Land. Eine Wiederbevölkerung durch Aserbaidschaner:innen findet bis dato kaum statt. Stattdessen wird verbrannte Erde hinterlassen, jahrhunderte- und jahrtausendealte armenische Artefakte, Kirchen, Friedhöfe und Kulturstätten werden seit der Besatzung des Landes kontinuierlich zerstört.

    Nach zwei Tagen Krieg: Aserbaidschan will sich Bergkarabach einverleiben

    Aserbaidschan will weiter in Richtung Armenien

    Dass die imperialistischen Mächte in Russland, wie auch im Westen, diesem schäbigen Tun nahezu widerspruchslos zuschauten, ja sogar nicht müde wurden zu betonen, dass Aserbaidschan völkerrechtlich im Recht sei, bestärkt das Regime von Langzeitpräsident Ilham Aliyev in Baku, seine mörderischen Absichten auch auf das armenische Kernland auszubreiten.

    Erst Mitte Februar wurden vier armenische Soldaten bei Feuergefechten mit aserbaidschanischen Truppen in der Provinz Syunik getötet, wie das armenische Verteidigungsministerium bestätigte. Solcherlei Gefechte sind die logische Folge der faschistischen Rhetorik des aserbaidschanischen Präsidenten, der Armenien öffentlich als „West-Aserbaidschan“ bezeichnet. Gerade mit der globalen Fokussierung auf die Kriege in Gaza und der Ukraine und angesichts der anstehenden US-Präsidentschaftswahl wächst in Armenien die Sorge, dass die Faschist:innen in Baku ihren Worten Taten folgen lassen.

    Im Netz der imperialistischen Kämpfe

    Dabei ist Armenien zum Spielball der imperialistischen Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland geworden – in nahezu in völliger Abhängigkeit von den Großmächten. Eine fatale Situation für das Land.

    Nachdem der russische Schutz für die Armenier:innen in Artsakh immer geringer wurde, orientierte sich die bürgerliche armenische Pashynian-Regierung zunehmend stärker in Richtung der Westmächte.

    Dass diese ebenso falsche Freunde wie Russland sind, beweist der Niedergang von Artsakh. Dieser folgte im September 2023 auf ein gemeinsames Militärmanöver mit den USA, das Putin wohl dazu veranlasste, Baku freie Hand zu lassen. Die imperialistischen Mächte des Westens schritten hierbei ebenfalls nicht ein. Während Deutschland wegen Rohstoff-Deals abhängig von Aliyev ist, unterstützten die Ukraine und Israel den aserbaidschanischen Präsidenten direkt mit Drohnen- und Waffenlieferungen.

    Zudem verfolgen die NATO-Staaten in ihrer Gesamtheit mit dem aserbaidschanischen „Bruderstaat“ Türkei essenzielle geostrategische Interessen (gegen Russland), die eine tatsächliche Intervention aus der EU oder der USA unterbinden.

    Lediglich Frankreich bildet hier eine Ausnahme und unterstützt Armenien offen diplomatisch und mit Waffenlieferungen.

    Armenien mit unterwürfiger Politik

    Folglich beantwortet der Westen die aggressiven Drohungen Aliyevs mit Scheindiplomatie, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Die Republik Armenien strampelt und hat ihre Mitgliedschaft im Sicherheitsbündnis „CSTO” / „OVKS” mit Russland eingefroren, um sich Washington und Berlin weiter anzunähern. Selbst in Ankara kroch der armenische Präsident Pashynian zu Kreuze und war Gast bei der Vereidigung Erdogans nach dessen Wiederwahl.

    Diese unterwürfige Politik vor dem Feind hat schon in Artsakh zur totalen Niederlage geführt. Das ziellose Geschwätz in wertlosen Verhandlungen hat immer nur zu weiteren Überfällen und Zuspitzungen durch Aserbaidschan geführt. Auch im vergangenen Jahr hatten aserbaidschanische Militärs zunächst immer wieder kleine Gruppen armenischer Kräfte überfallen und nach Scharmützeln ermordet, bevor die große militärische Offensive folgte.

    Die nun auf Vermittlung von Bundeskanzler Scholz in Berlin anberaumten „Friedensverhandlungen“ zwischen Armenien und Aserbaidschan geben also wenig Hoffnung auf einen tatsächlichen Frieden.

    Möglicher Überlebenskampf?

    Für Armenien und seine Bevölkerung wirkt dieser Zustand nahezu aussichtslos. Ohne fremde militärische Hilfe ist man dem aserbaidschanischen Feind nahezu schutzlos ausgeliefert. Aus genannten Gründen kann man dabei weder auf große Hilfe aus dem Westen, noch von Russland hoffen. Es kann höchstens erwartet werden, dass Frankreich seine Unterstützung intensiviert. Das ist jedoch eine schwache Hoffnung, die kaum Aussicht auf Erfüllung hat.

    Der armenische Revolutionär und Veteran im ersten Berg-Karabach-Krieg, Monte Melkonian (1957-1993), prophezeite einst, dass ein Aufgeben von Artsakh das letzte Kapitel der armenischen Geschichte aufschlagen werde.

    Es bleibt zu hoffen, dass er sich darin irrte. Die Armenier:innen haben schon zahlreiche Genozide und Massaker überlebt. Doch die nun immer stärker werdende Bedrohung aus Baku könnte nun tatsächlich den letzten Überlebenskampf eines Staates Armenien darstellen.

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