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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Das Gender-Verbot in Bayern: Über Patriarchat & Kulturkampf

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hatte schon lange ein Verbot gegen die Verwendung gendergerechter Sprache angestrebt – jetzt ist es da. Mit dem Verbot zeigt sich, wie gesellschaftliche Debatten von reaktionären Kräften wie AfD & Co. geformt werden und konkrete Auswirkungen auf die Politik haben. – Ein Kommentar von Michael Koberstein.

Das bayerische Kabinett hat am 19. März eine Änderung in der Allgemeinen Geschäftsordnung des Freistaats Bayern (AGO) beschlossen, die am 1. April gültig wird. Dadurch werden in schriftlichen Dokumenten Sonderzeichen zur Geschlechterumschreibung wie das Gendersternchen (*), die Binnenmajuskel (Großbuchstabe innerhalb eines Wortes), der Doppelpunkt (:) und der Gender-Gap verboten. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte diesen Schritt bereits in seiner Regierungserklärung im Dezember angekündigt. Betroffen vom Verbot sind Verwaltung, Schulen und Hochschulen, und zwar insbesondere offizielle Schreiben, Internetseiten von Behörden und Schulen, Elternbriefe, Schulbücher oder auch Jahresberichte.

Die Begründung lautet, man wolle eine „ideologisch aufgeladene“ Sprache vermeiden, denn Sprache solle „klar und verständlich“ sein, so Staatskanzleichef Florian Herrmann. Es gäbe einen „Zwang“ und „moralischen Druck“ zum Gendern, was unvereinbar mit dem Diskurs in einer „liberalen offenen Gesellschaft“ sei. Außerdem solle es so keine Benachteiligung an Hochschulen gegenüber „Studenten“ geben, die nicht gendern.

Konsequenzen für Lehrkräfte

Für Beamt:innen, die dagegen verstoßen, solle es Konsequenzen geben. Wie genau diese aussehen, ist aber noch unklar. Allgemeine Regelungen werde es nicht geben, stattdessen werden die Einzelfälle nach Häufigkeit, Ausmaß und Kontext geprüft. Ähnlich sieht es bei Lehrkräften aus: Das Kultusministerium möchte, dass die Vorgesetzten von Lehrkräften, die weiter gendern, zum Gespräch geladen werden, um sie für die „vom deutschen Rechtschreibrat vorgegebenen Leitlinien zu sensibilisieren.“

Der „Rat für deutsche Rechtschreibung” hatte am 15. Dezember 2023 die Verwendung von Sonderzeichen im Wortinneren nicht empfohlen, da die Verständlichkeit von Texten durch Eingriffe in Wortbildung, Grammatik und Orthografie negativ beeinträchtigt werde. Durch das Verbot wird bei der Korrektur von Schularbeiten das Gendern nun zwar nicht als Fehler gezählt, jedoch als inkorrekt markiert, was wiederum einer bürgerlich-ideologischen Einflussnahme gleichkommt.

Kritik vom Lehrer:innenverband

Zwar ist Simone Fleischmann vom „Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband” froh, dass das Verbot nur für den Schriftverkehr gilt und nicht auch für die gesprochene Sprache, dennoch könne „man eine gesellschaftliche Entwicklung nicht durch eine Sprachpolizei auffangen.“ Auch der Generalsekretär der „Bundesschülerkonferenz”, Florian Fabricius, sieht in dem Verbot eine „Bevormundung“. Ihm zufolge gäbe es für Schüler:innen allerdings „weder positive noch negative Auswirkungen“ fürs Gendern. Wenn Florian Fabricius etwas dagegen hat, gender-gerechte Sprache zu fördern, dann ist das ebenfalls patriarchal gedacht – wenn auch weniger krass als das Verbot selbst.

Ähnlich schwach fällt die Kritik der „Arbeiterwohlfahrt Bayern” (AWO Bayern) aus. Sie sei weder für ein allgemeines Verbot noch eine allgemeine Pflicht: Der Beschluss widerspräche aber dem Aktionsplan „queer für Bayern“, wonach sich die AWO Bayern nun einmal für geschlechter-sensible Sprache entschieden habe. Ebenfalls Perspektive-Online benutzt beispielsweise bewusst in seinen Artikeln geschlechter-gerechte Sprache, um der geschlechtlichen Vielfältigkeit der Leserschaft sowie der Arbeiter:innenklasse gerecht zu werden – auch wenn klar ist, dass dadurch allein die patriarchale Unterdrückung nicht aufgelöst wird.

Warum wir geschlechtergerechte Sprache nutzen (“gendern”)

Verschiebung der Kultur nach rechts

Anhand der Reaktionen der AfD sieht man, wem unter anderem durch das Verbot entgegengekommen wird: In einer Erklärung der AfD-Landtagsfraktion heißt es: „Linksgrüne, genderideologische Schreib- und Sprechvorgaben sind eine Bevormundung der Bürger. Sie spalten die Gesellschaft. Und sie reduzieren Menschen auf ihre geschlechtliche Identität. Diesen Sprach-Sexismus lehnen wir ab. Das bayerische Genderverbot zeigt: AfD wirkt!“.

Bereits bei Söders Regierungserklärung im Dezember 2023 war die AfD erfreut, Ausschnitte aus dem AfD-Wahlprogramm zu hören. Es ist aber nicht nur die AfD im Speziellen, die davon profitiert. Sie ist als Teil einer patriarchalen, faschistischen Gesamtbewegung zu verstehen, die angesichts der erhöhten Krisen im deutschen Imperialismus an Stärke gewinnt.

Die deutsche Wirtschaft stagniert seit Jahren und in Anbetracht der eskalierenden Kriegssituationen weltweit militarisiert die deutsche Kapitalist:innenklasse die deutsche Bevölkerung immer mehr und auf sämtlichen Gebieten. In solchen Krisensituationen kämpfen verschiedene bürgerliche Lager wie die CDU/CSU und die AfD, aber auch die Ampel-Parteien um die Vorherrschaft.

Dieser bürgerliche Konflikt schlägt sich auch in solch vordergründig „kleinen“ Kulturdebatten über Sprache wie dieser nieder. Die besonders reaktionären Kapital-Fraktionen sehen die bürgerliche Kleinfamilie bedroht, die das kapitalistisch-patriarchale System und darunter auch das binäre Geschlechtersystem stützt. Gerade in diesem Bereich wird Geschlossenheit gegenüber allem Anderen, Fremden gefordert und gefördert – nicht nur von der AfD.

Einigkeit beim radikalen Abbau von Asylrechten in Europa und Deutschland

Stabilisierung der bürgerlichen Kleinfamilie und des Systems

Söder hatte damals in seiner Regierungserklärung gegen die Ampel geschossen, die fälschlicherweise alles „mit Verboten und Ideologie“ durchboxe. Kritik an der Ampel von rechts konzentriert sich zurzeit darauf, alles als „ideologie-getrieben“ zu diffamieren. Besonders bei Themen, die sich um LGBTI+ und Gleichbehandlung aller Geschlechter drehen, werde alles von einer „Gender-Ideologie“ gelenkt.

Von Ideologie gelenkt – das sind immer die anderen, während man sich wie Staatskanzleichef Herrmann auf eine liberale Grundordnung beruft, die frei von Ideologie sei. Doch dieser Liberalismus selbst wird durch Verbote durchgesetzt – ein Widerspruch! Der Begriff „Sozialismus” wird sowohl von Söder als auch von der AfD als Kampfbegriff gegen die Ampel eingesetzt, obgleich die Ampel ihrerseits bereits selbst Kürzungen von Sozialleistungen, Abschaffung des Asylrechts und Waffenlieferungen durchsetzt. Das hat mit Sozialismus nichts zu tun.

Neben dem Feindbild des Nicht-Binären oder des Fremden ist der Sozialismus als Feindbild für den Erhalt des kapitalistischen Systems mitsamt der bürgerlichen Gesellschaft essenziell – gerade in einer Krisenzeit, in der sich viele Menschen nach System-Alternativen umschauen.

Falsch Herr Fratzscher! – Der Kapitalismus IST das Problem

Michael Koberstein
Michael Koberstein
Perspektive-Autor seit 2023 und Kommunist aus dem Südwesten. Interessiert sich für soziale Kämpfe und imperialistische Außenpolitik

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