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Samstag, Juli 27, 2024
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    Doch keine Wehrpflicht?

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    Die Diskussionen über die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht begleiten uns bereits seit mehreren Monaten. Nun macht Boris Pistorius (SPD) seine hoch angepriesenen Vorstellungen bekannt. Anders als erwartet, soll es demnach aber erst einmal keine Rückkehr zur Wehrpflicht geben. Wie es zur Kehrtwende kam und warum das Thema Wehrpflicht keinesfalls vom Tisch ist. – Ein Kommentar von Luis Tetteritzsch.

    Kurz nach der Eskalation des Ukrainekriegs im Jahr 2022 hat Deutschland einen neuen, offensiveren Kriegskurs eingeschlagen. Die Debatte rund um die Wiedereinsetzung einer Wehrpflicht war seitdem zentraler Bestandteil öffentlicher Diskussionen und begleitet uns nun schon seit mehr als zwei Jahren. Vorreiterin war hier Anfangs noch die CDU Niedersachsen, welche die seit 2011 ausgesetzte Wehrpflicht wieder zurückforderte.

    Die anderen Parteien ließen aber nicht lange auf sich warten und nach und nach sprangen auch sie auf den Zug der deutschen Militarisierung auf. Forderungen nach der Aufstockung der Bundeswehr, Kriegsübungen an Schulen oder die Wiedereinführung von Massenmusterungen folgten. Den Kriegstreibern der deutschen Politik fehlt es definitiv nicht an Vorstellungskraft, wie sie Deutschland auf kommende Kriege vorbereiten wollen.

    Besonders Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) schien eine ganz besondere Vorliebe und Besessenheit zur Wehrpflicht zu haben und grüßte uns fast wöchentlich mit neuen Schlagzeilen über die Notwendigkeit von „Kriegstüchtigkeit“ und eines „Mentalitätswechsels“ in der deutschen Gesellschaft.

    Und täglich grüßt das Murmeltier: Pistorius offen für Wiedereinführung der Wehrpflicht

    Nun doch keine Wehrpflicht mehr?!

    Im März dann die große Ankündigung: Pistorius wolle im Mai potentielle Wehrdienstmodelle vorstellen. Geliebäugelt hatte er damals vor allem mit dem schwedischen Wehrpflichtmodell. Dort werden alle Schulabgänger:innen gemustert, für die Armee geeignete Männer und Frauen werden dann gezielt angesprochen.

    Am Montag war es dann so weit: Hinter verschlossenen Türen stellte der Kriegsminister dem SPD-Präsidium in einer 45-minütigen Präsentation seine Ideen vor, wie er mehr Nachwuchs für die Bundeswehr gewinnen möchte. Doch nach Informationen des Spiegel forderte er – ganz anders als bisher – keine Wiedereinführung der Wehrpflicht. Stattdessen wolle er weitgehend auf Freiwilligkeit setzen und die Bundeswehr für junge Menschen vor allem durch materielle Anreize wie kostenlose Führerscheine, Rabatte bei Studiengebühren oder einen erleichterten Zugang zum Studium attraktiver machen. Doch wie kam es zum plötzlichen Kurswechsel?

    Einig in der Zielsetzung, uneinig bei der Umsetzung

    Inwiefern ein wirklicher „Kurswechsel“ stattgefunden hat, ist tatsächlich fraglich. Immerhin sind sich die Parteien in der grundlegenden Zielrichtung recht einig: Deutschland muss auf Krieg vorbereitet werden und das möglichst schnell und effizient. Die Frage ist nur, wie der Staat das konkret anstellen will. Und genau hierbei trennen sich die Gemüter.

    Ginge es rein nach Pistorius‘ Wünschen, dann stünde Deutschland als europäischer Führungsmacht mithilfe einer starken Bundeswehr und einer „kriegstüchtigen“ Gesellschaft nichts im Wege. Die herrschende Klasse in Deutschland ist sich aber noch über den effizientesten Weg zu genau diesem Ziel etwas uneinig. So hatten verschiedene hohe Köpfe der Finanz-Elite ihre Zweifel an dem offensiven Kurs des Kriegsministers geäußert.

    Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich bereits mehrmals gegen die Vorstöße Pistorius‘ gestellt. Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ergäbe „keinen Sinn“. „Wir werden nicht wieder zurückkehren zu einer Wehrpflichtarmee mit 400.000 Soldaten“, so Scholz bei einer Gesprächsrunde mit Zeitungslesern der VRM-Mediengruppe im April. Und auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) – immer die Profite deutscher Konzerne im Hinterkopf – bezweifelte die „Wirtschaftlichkeit“ einer allgemeinen Dienstpflicht.

    Doch nicht nur in der Riege der Herrschenden gab es Widerspruch. Auch innerhalb der breiten Gesellschaft wäre das Wiedereinsetzen einer Wehrpflicht auf Widerstand gestoßen. Laut einer Studie lehnten im Sommer 2022 die Hälfte der befragten Jugendlichen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht entschieden ab.

    Hinzu kommt, dass die SPD – trotz ihrer ganz offenen Kriegsrhetorik – in den kommenden Landtags- und Kommunalwahlen ihre bröckelnde Fassade als „Friedenspartei“ irgendwie noch wahren und aufrechterhalten muss. Ein Vorstoß in Richtung Wehrpflicht, ins Leben gerufen durch die SPD, wäre dann doch ein zu großes Verlustrisiko unter der recht kriegsmüden Wähler:innenschaft.

    Wehrpflicht noch lange nicht vom Tisch

    Zwar mag es stimmen, dass die Wiedereinführung der Wehrpflicht für die jetzige Legislaturperiode erst einmal vom Tisch zu sein scheint. Doch zum einen steht 2025 die nächste Bundestagswahl an, und beispielsweise die CDU hat bereits deutlich gemacht, sich für eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht bei einem Wahlsieg stark machen zu wollen.

    Zum anderen wird auch jetzt weiter wie gehabt mit einer „Salami-Taktik“ und einer stückweisen Militarisierung weiter gemacht. Über Monate hinweg werden unbequeme Sachverhalte – wie die Wiedereinführung der Wehrpflicht – salonfähig gemacht und auf den ersten Blick als indiskutabel dargestellt. Kurz darauf werden sie dann fallen gelassen, um vermeintlich „weniger schlimme“ Maßnahmen umzusetzen, welche die Breite der Gesellschaft nicht mehr zum Aufschrei bringen, aber ebenso Schritte hin zu einer Militarisierung darstellen.

    Die Schaffung von materiellen Anreizen für die Bundeswehr zählt genauso dazu, wie die Bevorzugung von (ehemaligen) Wehrdienstleistenden bei der Zulassung zu Studiengängen oder durch finanzielle Beihilfen. Für den deutschen Staat zu dienen, soll lukrativer und vor allem mit gesellschaftlichem Prestige und Privilegien verbunden werden. Letztendlich sind auch das Schritte, um die Gesellschaft wieder „kriegstüchtig“ zu stimmen und ein „unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr“ herzustellen.

    Mit kleinen Schritten zur Wehrpflicht?!

    Dass die Wehrpflicht nicht für immer vom Tisch ist, zeigen auch die Modellvorschläge des Verteidigungsministeriums: Diese hatten auf Anweisung Pistorius‘ nämlich verschiedene Optionen für ein Wehrpflichtmodell für Deutschland ausarbeiten sollen. Sie sahen eine Rückkehr zur eigentlichen Wehrpflicht vor, bei der junge Menschen auch gegen ihren Willen zur Bundeswehr eingezogen werden könnten. In einem weiteren Modell war sogar die Rede von einer allgemeinen Dienstpflicht, welche dann auch für Frauen gegolten hätte.

    Und auch ein kurzer Blick auf die politische Lage der Welt zeigt recht eindeutig, dass mit einer Zuspitzung der Krisen und der Veränderung von Kräfteverhältnissen weitere Schritte hin zu einer militärischen Führungsmacht für den deutschen Imperialismus von Nöten sein werden, um seine Machtstellung beizubehalten. Dass Deutschland keinesfalls vor einem offenen Krieg zurückschrecken würde, sobald es sich militärisch dafür aufgestellt hat, zeigen die Gesichter der deutschen Politik auch immer offener.

    Die Gefahr der Wiedereinführung der Wehrpflicht hier in Deutschland wird also bleiben. Und zwar solange, wie wir die Kriegstreiber nicht von ihrem hohen Ross geworfen haben werden.

    All die „Versprechen” – für uns Arbeiter:innen eher Drohungen –, die uns deutsche Politiker:innen in den vergangenen Monaten gemacht haben, von einer „kriegstüchtigen“ Gesellschaft über die Wiedereinführung der Wehrpflicht bis hin zu einer „europäischen Führungsmacht“ werden in Zukunft nicht mehr nur Forderungen bleiben. Ob sie durchgesetzt werden, ist lediglich eine Frage der Zeit und eine Frage unseres Widerstands.

    • Seit 2023 Autor für Perspektive Online. Schreibt gerne über die Militarisierung des deutschen Imperialismus und dem Widerstand dagegen. Denn: "Der Hauptfeind steht im eigenen Land!"

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