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Mittwoch, Mai 1, 2024
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    Wut auf die Ungeimpften

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    Die Impfkampagne in Deutschland gerät schon seit Wochen immer mehr ins Stocken. Die Bundesregierung diskutiert offen über weitere Impfprivilegien und andere Möglichkeiten den Druck zu erhöhen. Ein Kommentar von Paul Gerber

    Mit die “Die Illusion platzt” überschrieb DER SPIEGEL am vergangenen Samstag einen Artikel zu diesem Thema.

    Tatsächlich schließen erste Impfzentren wegen zu geringer Auslastung; auch in Hausarztpraxen ist mit unter zu vernehmen, dass man nun das Impfen einstelle, da man seinen Teil getan habe. Am Dienstag wurden beispielsweise mehr als 572.000 Dosen verimpft, der Rekordwert liegt bei rund 1,5 Millionen am 9. Juni.

    Von dem von der Politik verkündeten Ziel der Herdenimmunität, die anfangs auf etwa 70% Geimpfte taxiert wurde, jüngst aber auf 90% angehoben wurde, entfernt man sich somit immer weiter: vor allem in einem absehbaren Zeitraum, bis ungünstige Witterungsbedingungen im Herbst und Winter die Verbreitung des Virus zusätzlich zu den neuesten Mutanten weiter anheizen werden.

    Die Quote der vollständig Geimpften liegt bei 47,3%, die derjenigen, die mindestens eine erste Impfung erhalten haben bei 60,2%. Das Stocken der Impfkampagne drückt sich also auch darin aus, dass der Abstand zwischen dem einen und dem anderen Wert immer kleiner wird.

    Der Andrang lässt nach

    Klar ist offenbar, dass die wahrgenommenen Impftermine weit unter der Kapazitätsgrenze liegen. In Hessen und Berlin wird momentan etwa jeder fünfte Termin nicht wahrgenommen. Vom selbst in den Raum gestellten Vorschlag, Strafen für jene einzuführen, die ihren Impftermin verfallen lassen, hat sich die Bundesregierung jedoch gleich wieder distanziert.

    Gründe dafür, dass die Impfbereitschaft nachlässt gibt es viele: Für so manchen ist dieser Sommer der erste seit zwei Jahren, in dem ein Sommerurlaub wieder möglich oder finanzierbar ist. Wer könnte es diesen Menschen verdenken, dass sie ihren Urlaub nicht für einen Impftermin opfern wollen?

    Sicher liegt ein weiterer Faktor darin, dass um das Tempo der Kampagne aufrecht zu erhalten, diejenigen, die in irgendeiner Weise skeptisch gegenüber der Impfung sind, überzeugt oder gezwungen werden müssten, sich impfen zu lassen.

    Mehr Impfprivilegien werden vorbereitet

    Das weiß auch die Bundesregierung und denkt deswegen sehr laut darüber nach, die Impfprivilegien zu vergrößern, die ohnehin schon bestehen. Gesundheitsminister Spahn beispielsweise habe vorgeschlagen, Ungeimpfte Tests ab Herbst selbst zahlen zu lassen; Ex-Ministerin Franziska Giffey will mit “Belohnungen” wie kostenlosen Theaterkarten an die Spritze locken.

    Betont werden muss an dieser Stelle, dass die von Medien und Politik pauschal als “Impfgegner”, “Impfskeptiker” oder “Impfverweigerer” diffarmierte Gruppe enorm vielfältig ist. Unter diesen Begriff fallen alle von fundamentalistischen Esoteriker:innen bis zu Menschen, die schlicht panische Angst vor Spritzen haben und es deswegen bisher ganz bequem fanden, anderen den Vortritt lassen zu können.

    Den Druck auf diese Menschen wird der Staat Stück für Stück mit Zuckerbrot, Peitsche und medienwirksamen Appellen erhöhen – dennoch: Das Ziel, die Herdenimmunität (egal was das genau heißt) bis Herbst ist schon jetzt in unerreichbare Ferne gerückt und die Menschen in diesem Land müssen sich wohl oder übel auf einen weiteren Corona-Winter einstellen.

    Mit dem Virus leben lernen

    Gleichzeitig bereiten Bundesregierung und Expert:innen eine Verschiebung des Bewertungsschemas für den Pandemieverlauf vor – wie es europäische Nachbarländer schon getan haben. In Zukunft wolle man nun statt Inzidenzen und R-Wert mehr auf die Hospitalisierungsrate (Die Rate der Erkrankten, die wegen Corona ins Krankenhaus müssen) achten.

    Diese Ankündigung bedeutet gleichsam, das in den letzten anderthalb Jahren stets verkündete Ziel, das Virus auszurotten, aufzugeben. Mit dem “Virus leben lernen”, vor nicht allzu langer Zeit noch als Parole der Querdenker:innen und Expert:innen, die in ihre Nähe gerückt wurden, verschrien, ist nun das neue Mainstream-Motto.

    Im Angesicht der Tatsache, dass gerade mit neueren Virusmutanten, offenbar auch verstärkt vollständig geimpfte Menschen wieder krank werden und einzelne sogar sterben, verschieben die Herrschenden also auch den Wertemaßstab, den sie in den letzten 17 Monaten zur Rechtfertigung der von ihnen verhängten Einschränkungen und Aufhebungen von Grundrechten genutzt hatten.

    Es ging eben nie wirklich darum, jedes einzelne Menschenleben zu retten, sondern lediglich darum, eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus zu verhindern.

    • Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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