`
Dienstag, März 19, 2024
More

    Anarchist im Flutgebiet: “Wenn die Menschen da unten eins verstehen, dann Solidarität!”

    Teilen

    Noch immer sind Gebiete in Deutschland durch die Flutkatastrophe völlig zerstört. Vielerorts wird praktische Solidarität zum Aufräumen und Wideraufbau geübt – mit dabei auch Matthias Kunz, der sich selbst als Anarchist versteht. Wir haben mit ihm über seinen Unterstützungseinsatz gesprochen.

    Was war deine Motivation den Flutopfern zu helfen?

    Es war ein tiefes Gefühl von Mitleid und Hilflosigkeit. Ich habe schon die Verzweiflung bei Nachbar:innen von mir mitbekommen, denen „nur“ die Keller vollgelaufen waren. Dann sah ich die Zerstörungen und wollte da nicht untätig rumsitzen. Ich fragte mich was passiert, wenn ich mal Hilfe benötige. Also habe ich mich umgesehen und Menschen gefunden, denen Solidarität auch wichtig war.

    Wie bist du in die Krisengebiete gekommen?

    Bei meinem ersten Einsatz haben wir das privat über eine Telegramgruppe organsiert. Wir haben uns zusammengefunden, Material und Geld gesammelt, ein Mensch mietete extra ein Auto an und dieser sammelte uns in Hürth ein.

    Was hast du vor Ort vorgefunden?

    Zuerst einmal ein sehr mulmiges Gefühl. Alles zerstört, dreckig und überall THW, Bullen, Bundeswehr, Krankenwagen. Also wahrlich eine Stresssituation. Dann habe ich aber dann daran gedacht, wieso ich eigentlich da bin, nämlich um zu helfen.

    Wie viele Tage hast du geholfen & wie sah dein Arbeitstag aus?

    Leider viel zu wenige Tage. Unteranderem deshalb, weil wir wegen den Unwetterwarnungen wieder zurückfahren mussten und wegen fehlender Zeit. Mein erster Tag war bei Menschen, die in der Nähe der Ahr ein ganzes Haus hatten und wir holten sehr viel aus deren Keller, der noch mit Wasser gefüllt war. Es war eine dreckige, aber lohnende Angelegenheit, weil dadurch wichtige Fortschritte erzielt wurden. Das waren Fortschritte für die Psyche.

    Ziviler Katastrophenschutz wurde kaputt gespart – während die Militärausgaben steigen

    Hattest du die Möglichkeit mit Opfern in Kontakt zu treten?

    Ich habe bezüglich des Wortes „Opfer“ immer ein mulmiges Gefühl, denn diese Menschen vor Ort sind stark betroffen, aber wahrlich keine Opfer per Definition. Denn um das auszuhalten, musst du schon einiges an Rüstzeug mitbringen und die Geschichten von den Menschen vor Ort sind schwierig zu verdauen. Ich werde hier auch keine Sachen erzählen. Nur soviel, wenn ihr was wissen wollt: Fragt die Menschen vor Ort, helft ihnen und hört zu. Ein vollgelaufener Keller ist dort das geringste Problem.

    Du verstehst dich selbst als Anarchist und bist bei der FAU organisiert. Gab es aus diesem Grund Probleme vor Ort?

    Also für mich selber gar nicht. Es ist spürbar anders da unten, weil du ja in bestehende bzw. zerstörte gesellschaftliche Strukturen eintrittst, die es vorher gab. Allerdings gehe ich dort nicht damit hausieren, dass ich Anarchist bin, sondern will praktisch helfen. Nazis, Rassist:innen und andere sogenannte Schwurbler:innen findest du eh nicht beim praktischen Arbeiten und wenn doch, sehr vereinzelt und selbst diese hielten den Mund.

    Ich sage es nochmal: Da unten die Situation ist verdammt scheiße! Wer politisch da was machen will, sollte mit praktischer Solidarität anfangen und nicht im Szenesumpf seiner akademisierten Clique rumhängen und aus der Ferne alles bewerten. Denn wenn die Menschen da unten eins verstehen, dann Solidarität! So kam ich auch mit Leute vor Ort ins Gespräch, der Rest zeigt sich später.

    Die Klimakatastrophe ist der dringende Ruf nach einem neuen System

    Wen hast du vor Ort angetroffen, der auch geholfen hat?

    Also direkt im Nebenhaus, also ca. einen Meter neben mir, hatte die Bundeswehr den alten Menschen geholfen den Keller auszuräumen. Die Bullen regelten die Straßen, Soldaten fuhren durch den Ort und bringen News zu den Bürger:innen. Sonst ist sehr sehr viel zivile Rettung da, also Feuerwehren, THW, DRK und auch private Initiativen, welche z.B. Essen anbieten. Ein riesiges Potpourri an Organisationen, aber in den Gebieten irgendwie unabdingbar. Es sieht aus wie im Kriegsgebiet und damit lehne ich mich bestimmt weit aus dem Fenster, da ich noch nie in einem solchen Gebiet war.

    Was hat bei der Hilfe gut geklappt und über was hast du dich geärgert?

    Also erstmal die vielen solidarischen Menschen aus unterschiedlichen Orten, zumeist junge Menschen, welche geholfen haben und helfen zu organisieren. Denn dort ist einfach viel zu viel zu tun. Die Rücksicht auf die Anwohner:innen, also keine Bilder schießen, weniger Quatschen und mehr machen. Aber auch die Versorgung der Menschen, einschließlich Helfer*innen z.B. Transfer und Essen. Also wer Solidarität erleben möchte, unabhängig von Einstellung und Klassenzugehörigkeiten, sollte vorbeikommen, anpacken, mit den Leuten reden und schauen wo geholfen werden kann.

    Hast du noch etwas was du unbedingt loswerden möchtest?

    Ich möchte alle auffordern ihren Arsch hoch zu bekommen, sich zu organisieren und zu helfen, egal wo und wann. Kommt vorbei, helft den Menschen und zeigt ihnen, dass es besser geht mit uns. Denn der menschengemachte Klimawandel ist ein riesiges Problem. Aber auch wir sind ein Problem, wenn wir nur im akademischen Sumpf darüber reden was falsch läuft, aber nichts dagegen tun. Ansonsten möchte ich allen Helfer:innen, Hilfsorganisationen, außer den Bullen und der Bundeswehr, meinen Dank aussprechen und den Bewohner:innen viel Kraft schenken.

    Mehr lesen

    Perspektive Online
    direkt auf dein Handy!

    Weitere News

    Welcome to Perspektive

    Install
    ×