Die Zahl der untergetauchten faschistischen Straftäter wächst immer weiter. Das SPD-Innenministerium versichert, die Fälle würden besprochen. Innerhalb der letzten fünf Jahre hat sich ihre Zahl jedoch verdoppelt.
674 Personen mit “rechtsextremen” Hintergrund werden derzeit in Deutschland per Haftbefehl gesucht. Das geht aus einer Anfrage der Linkspartei hervor, über die die taz berichtet. Manche davon sind bereits seit knapp 10 Jahren nicht mehr auf dem Radar der Sicherheitsdienste. Dabei unterstreicht der Trend die drohende Gefahr:
Die Zahl von Faschist:innen gegen die ein offener Haftbefehl vorliegt wird seit 2008 aufgezeichnet. Damals waren am Jahresende lediglich zwei offen, sie betrafen auch nur 2 untergetauchte “Rechtsextremisten”.
Zwischen 2015 und 2017 ist die Zahl dann scharf angestiegen. Waren 2016 noch 207 Haftbefehle gegen 161 Rechtsextremisten offen, sind im Jahr 2017 die Zahlen explodiert: 441 Haftbefehle gegen 340 Rechtsextreme sind allein von Januar bis September hinzugekommen. Seit dem hat sich ihre Zahl bis heute verdoppelt: Waren es im Frühjahr 2022 schon 568, konnten allein im vergangenen Halbjahr über 100 kriminelle Faschist:innen untertauchen. Die Dunkelziffer dürfte um einiges höher liegen.
Gegen 151 von ihnen wurde eine Haft wegen rechtsmotivierter Straftaten verhängt (Verwenden von verfassungswidrigen Symbolen, Volksverhetzung oder Beleidigung). In 33 Fällen ging es um ein rechtsextremes Gewaltdelikt, vor allem Körperverletzungen oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Die übrigen Fälle betrafen Allgemeinkriminalität (wie Diebstahl, Betrug oder Verkehrsdelikte).
Verbindungen zur Bundeswehr und ins Ausland
Was zudem auffällt, ist die hohe Zahl an Gesuchten mit Verbindungen zur Bundeswehr. Unter den Untergetauchten befinden sich mindestens 57 Faschist:innen, die wissen, wie man mit Waffen umgeht. Nach Kenntnis der Behörden seien viele außerdem in Nachbarländern untergetaucht: 14 der Gesuchten hielt sich in Polen auf, je 9 in Österreich und der Schweiz und 8 in Rumänien. Drei sollen auch in der Ukraine sein, zwei in Russland.
Die Linken-Innenexpertin Martina Renner, die die Anfrage stellte, meint die hohe Zahl der offenen Haftbefehle zeige, dass rechte Gewalt „auch jenseits spektakulärer Razzien eine alltägliche Bedrohung“ sei. Dazu liege die Dunkelziffer wohl deutlich höher, „weil viele rechte Taten nicht als solche erfasst“ würden.
Das SPD geführte Innenministerium versicherte dagegen, dass zu allen offenen Haftbefehlen auch Fahndungsmaßnahmen liefen. Die Fälle mit Gewaltdelikten seien zudem im „Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum der Sicherheitsbehörden“ besprochen worden. Dies zeige, dass die Fahndungen „mit Nachdruck und erfolgreich“ durchgeführt würden, so das Ministerium. Zudem sei „davon auszugehen“, dass viele Gesuchte „nicht bewusst“ untergetaucht seien, sondern sich nach Umzügen aus Versehen nicht gemeldeten hätten.
Für Renner besteht genau hier jedoch Klärungsbedarf. Es bleibe unklar, inwiefern die Behörden tatsächlich ermittelten, welcher der Rechtsextremisten sich gezielt einer Festnahme entziehe. „Der Druck der Behörden kann und muss in dieser heiklen Angelegenheit durchaus noch größer sein“, so Renner zur taz.