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Freitag, April 26, 2024
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    Mögliche Wagenknecht-Partei: Links? Rechts? Und in wessen Interesse?

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    Sahra Wagenknecht hört bei der Linkspartei auf – und das, nachdem ihr Name in den letzten Wochen in aller Munde war. Nun kokettiert sie immer offener mit einer Parteigründung. Auf welchen Grundsatzpositionen steht sie? Und wem dürfte eine mögliche Wagenknecht-Partei dienen? – Ein Kommentar von Tim Losowsky

    Sahra Wagenkecht ist eine der bekanntesten Politikerinnen Deutschlands. Gerade in den letzten Wochen war sie vielfach in Talkshows und mit ihren Argumenten in Radio und sozialen Medien zu hören. Sogar Bundeskanzler und Wirtschaftsminister sahen sich genötigt, sich zu dem von ihr und Alice Schwarzer initiierten „Manifest für Frieden“ zu äußern, das oftmals einfach als “Wagenknecht-Manifest” beschrieben wurde.

    Knapp eine Woche nach der sehr heterogenen Großdemo vor dem Brandenburger Tor – und einer Reihe interner Auswertungen – nun der nächste Schritt. Gegenüber der Rheinpfalz erklärte die Politikerin, bei der Bundestagswahl 2025 nicht mehr für die Linkspartei kandidieren zu wollen. Sie wolle sich entweder aus der Politik zurückziehen – „oder es ergibt sich politisch etwas Neues“. Auf eine mögliche Parteineugründung angesprochen, antwortete Wagenknecht: „Darüber wird an vielen Stellen diskutiert.“

    Tatsächlich würde eine von ihr angeführte „Wagenkecht-Partei“ nach einer Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens Kantar auf ein Wählerpotenzial von 19 Prozent kommen. Unter denen, die sich eine Wahl einer solchen Partei vorstellen können, sind erstaunlich viele Anhänger:innen der AfD und der Linkspartei, aber auch von FDP und CDU. – Was hat das mit den Positionen Wagenkechts zu tun?

    Wagenkecht, die Ordoliberale

    Auch wenn Wagenknecht noch Mitglied der „Links“-Partei ist, vertritt sie in ihren Grundpositionen schon seit langem nicht mehr die linken Positionen.

    So hat sie sich in ihrer Partei von einer bekannten Vertreterin der „kommunistischen Plattform“ (1991-2010) immer weiter nach rechts bewegt, bis sie beim “ordoliberalen” Ludwig Erhard ankam. Dieser gilt als Stratege und Mitbegründer der „Sozialen Marktwirtschaft“ – also dem spezifisch deutschen Modell der kapitalistischen Wirtschaft.

    Der Ordoliberalismus steht felsenfest für die Position, dass es Unternehmer:innen und Arbeiter:innen, Ausbeuter:innen und Ausgebeutete geben muss – nur zu große Monopole und Kartelle sollten eingeschränkt werden. Der Staat soll einen „Ordnungsrahmen“ (“ordo”) setzen, jedoch nicht die Wirtschaft selbst leiten.

    Ihre Bewunderung für Erhard oder andere dieser Ideologen hat Sahra Wagenkecht zuvor mehrfach in Interviews zum Ausdruck gebracht: „Wir brauchen Märkte.“ (Spiegel 2012), „Ich halte Märkte für unersetzlich.“ (Handelsblatt 2014), “Wer Erhards Anspruch ernst nimmt, müsste die Linke wählen” (Wirtschaftswoche 2017).

    2012 erklärte sie als stellvertretende Fraktionschefin der Linken: „Schon der österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter unterschied zwischen Unternehmern und Kapitalisten. Der Unternehmer ist jemand, der eine gute Idee hat, etwas Neues aufbaut und so den Wohlstand steigert. Für den Kapitalisten dagegen ist der Betrieb nichts als ein Anlageobjekt, das eine möglichst hohe Rendite abwerfen soll. Das Schlimme am heutigen Wirtschaftssystem ist, dass es die Kapitalisten fördert und den Unternehmern das Leben schwermacht.“

    Die alte Leier des „guten Unternehmerns“ und des „Bösen Kapitalisten“ wurde von den Nazis auf die Spitze getrieben, als sie zwischen „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital unterschieden. Es ist aber nur ein vorgeblicher Antikapitalismus, der letztendlich einen künstlichen Gegensatz aufbaut, den es so in einer Welt des globalisierten Imperialismus nicht gibt, und der damit vor allem der Integration enttäuschter oder abgehängter Teile der Bevölkerung dient.

    Wagenknecht positioniert sich damit als Fürsprecherin der kleinen und mittleren Unternehmen gegen die Großkonzerne – als Vertreterin des „Mittelstands“, wo seit jeher konservative und faschistische Kräfte ihre Massenbasis sehen. Die Interessen der Arbeiter:innenklasse sind bei ihr diesem Mittelstand untergeordnet, auch wenn sie mit Forderungen nach Mindestlohn und Begrenzung von Leiharbeit weiterhin angesprochen werden.

    Wagenknechts Berufung auf die Wirtschaftstheoretiker der BRD der 50er Jahre passt auch zu ihren rechten Positionen in der Gesellschaftspolitik.

    Wagenknecht blinkt rechts

    Ludwig Erhard war Teil der ersten Regierung der Bundesrepublik unter Führung des Rechtsaußen-Politikers Konrad Adenauer (CDU). Dieser setzte nicht nur den NS-Kriegsverbrecher Hans Globke als seine rechte Hand und Bundeskanzleramtschef ein, sondern integrierte die alten Nazi-Kader auf allen Ebenen des neuen Geheimdienstes und sich wiederaufbauenden Militärapparats. Der ehemalige Verfassungsschutzchef und neurechte Hans-Georg Maaßen erklärte deshalb erst kürzlich  beispielsweise in der „Jungen Freiheit“: „Ich vertrete die Positionen des Grundsatzprogramms der CDU und die Positionen der CDU von Adenauer, Erhard und Helmut Kohl – und nicht die einer öko-woken Parteielite“.

    Den Kampf gegen Migration und „Öko-Wokismus“ scheint Wagenknecht mit Maaßen gemeinsam zu haben. Nach den sexuellen Übergriffen in Köln Anfang 2016 äußerte Wagenknecht: „Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt“. Im Januar 2017 gab Wagenknecht in einem umstrittenen stern-Interview dann Angela Merkel wegen ihrer Grenzöffnung für Flüchtlinge sowie des Sparkurses bei der Polizei eine „Mitverantwortung“ an dem Terroranschlag von Berlin.

    Das hat sie mit ihrem aktuellen Partner und politischen Weggefährten Oskar Lafontaine gemein, der bereits 2005 bei einer Rede in Chemnitz davon sprach, dass  der Staat verpflichtet sei “zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen“.

    In ihrem Buch „die Selbstgerechten“ griff Sahra Wagenkecht zwar richtigerweise Symptome einer Integration sozialer Kämpfe in neoliberale Politik an. Doch indem sie Menschen, die von Rassismus und Patriarchat – damit eine Mehrheit der Arbeiter:innenklasse – als „skurrile Minderheiten“ beschimpfte, wurde deutlich, dass sie auch nur eine weitere rechte Spalterin ist und keine Vertreterin eines vereinten Klassenkampfs.

    Debatte um Sahra Wagenknechts Buch: Es braucht einen “verbindenden Klassenkampf”

    Auch im Friedenskampf geht sie nicht von linken Positionen aus, sondern wünscht sich Ruhe für den deutschen Nationalstaat und die Fortsetzung der strategischen Beziehungen zu Russland. Sie distanzierte sich in ihrem jüngsten Aufruf zwar von „Neonazis und Reichsbürgern“, lud aber explizit jede:n, der sonst „für Frieden demonstrieren“ wolle, zu sich ein – in dem Wissen, dass sich in der faschistischen Bewegung heute nur sehr wenige selbst als „Neonazis und Reichsbürger“ bezeichnen, auch wenn sie es sind.

    Ihr Partner Oskar Lafontaine war zuvor noch weiter gegangen und hatte Distanzierungen sogar zurückgewiesen, worauf etwa die Faschist:innen des rechten “Compact-Magazins” in Jubel verfielen. Kein Wunder, dass ihr Magazin Wagenknecht bereits zur „besten Kanzlerin für links und rechts“ ausgerufen hat.

    Neugründung auf welchem Programm?

    Wagenknecht selbst bezeichnet ihr Programm als „linkskonservativ“. Tatsächlich ist es ein Programm im Interesse des Mittelstands, des kleinen und mittleren Kapitals, das versucht, unter eigener Hegemonie auch das Kleinbürger:innentum sowie Teile der Arbeiter:innenklasse von rechts und links einzubinden. Letztendlich sogar liegt die politische Hegemonie bei jeglicher “Querfront”-Strategie bei den Rechten.

    Der erste Versuch, eine Vorläuferin für solch eine Partei zu bilden, war die Bewegung „Aufstehen“, die Wagenknecht und Lafontaine gemeinsam gründeten. Doch er scheiterte, war ohne Dynamik auf der Straße und ohne erfahrenes organisatorisches Rückgrat. Wenige Monate später zog sich Wagenkecht mit Burnout aus der Politik zurück.

    Querfront-Partei für den Mittelstand?

     

    Später wurde sie wieder aktiver und sammelte erneut Anhänger:innen in der Linkspartei um sich. Die Partei konnte sich derweil in keiner gesellschaftlich relevanten Frage mehr auf eine Position einigen: sei es die Corona-Pandemie, die Haltung zu Rassismus und Patriarchat, die Haltung zum Ukraine-Krieg. Heute ist so deutlich wie nie, dass innerhalb der Linkspartei gleich mehrere Parteien wirken. Die Partei ist mittlerweile weitgehend unfähig geworden, auf die großen Fragen der Zeit einheitlich zu antworten.

    Dort, wo die Partei sich auf Formelkompromisse einigte, trat Wagenkecht als bürgerliche Machtpolitikerin offensiv mit einer eigenen Position nach außen, um sich bekannter zu machen und ihre Reichweite auszuloten.

    Nun scheint ein wesentlicher Schritt in Richtung Partei-Neugründung getan: 19% Wählerpotenzial werden ihr zugesprochen. Das war jedoch auch damals bei einer Partei von Jürgen Todenhofer der Fall. Letztlich landete die dann gegründete Partei bei 0,5%.

    Ähnliches könnte im Falle einer Spaltung sowohl der Wagenknecht-Partei als auch dem Rest der Linkspartei drohen, wenngleich noch immer ein relevanter Parteiapparat vorhanden ist. Zudem haben viele Linkspartei-Abgeordnete – allen voran Wagenknecht – eine nicht unerhebliche Gefolgschaft in den Sozialen Medien. Doch gerade weil ein Sieg unsicher scheint: die Entscheidung über eine neue Partei ist noch nicht getroffen.

    Sozialdemokratie wird zerrieben

    Ob sich nun eine neue Querfront-Partei auf der einen Seite und eine links-sozialdemokratisch zusammengeschrumpfte Linkspartei auf der anderen Seite bildet, oder vielleicht noch ganz neue Konstellationen entstehen – die Krise der Linkspartei ist Ausdruck einer Gesetzmäßigkeit.

    Ihre Entwicklung ist lebendiger Beweis für eine These, die bereits differenziert von marxistischen Analytiker:innen herausgearbeitet wurde: In Krisenzeiten zerreibt sich die Sozialdemokratie an den Widersprüchen, dem kleiner werdenden Verteilungsspielraum und der Kriegsvorbereitung des Imperialismus – und geht damit tendenziell nach rechts.

    Den Sozialismus als konsequente Alternative zu Krieg, Krise und Umweltkatastrophe propagiert keine der beiden Parteien mehr. Damit wäre jedoch wiederum eine Lücke links der Linkspartei für ebendiese konsequenten Sozialist:innen frei.

    • Perspektive-Autor und -Redakteur seit 2017. Schwerpunkte sind Geostrategie, Rechter Terror und Mieter:innenkämpfe. Motto: "Einzeln und Frei wie ein Baum und gleichzeitig Geschwisterlich wie ein Wald."

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