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Freitag, April 26, 2024
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    § 129 – Kriminalisierung von linkem Widerstand, auch im Fall von Lina E. und der „Letzten Generation“

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    In den letzten zwei Wochen kam es zu einer bundesweiten Razzia gegen Mitglieder der „Letzten Generation“ auf Grundlage des § 129 Strafgesetzbuch. Auch im “Antifa Ost-Verfahren” um Lina E. und ihre Mitangeklagten gab es eine Verurteilung u.a. wegen des gleichen Paragraphens. Der Straftatbestand führt zu weitreichenden Ermittlungsbefugnissen und wird verstärkt zur Ausspähung und Kriminalisierung linker Aktivist:innen verwendet.

    Vergangene Woche hat die Polizei im Rahmen einer bundesweiten Razzia 15 Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern der „Letzten Generation“ durchgeführt. Diese protestieren seit gut einem Jahr auf den Straßen Deutschlands und fordern ein konsequenteres Vorgehen der Regierung gegen den Klimawandel.

    Die Razzia der Ermittlungsbehörden wurde auf den Verdacht der Begehung von Straftaten gestützt. Sieben Mitgliedern wird die „Bildung bzw. Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“ nach § 129 Strafgesetzbuch (StGB) vorgeworfen. Das Bayerische Landeskriminalamt (BLKA) und die Generalstaatsanwaltschaft München haben deshalb die Verfahren wegen § 129 eingeleitet.

    Repression gegen Letzte Generation: Warum man ihre Aktionsformen kritisieren kann und trotzdem solidarisch sein sollte

    Die Solidaritätsorganisation „Rote Hilfe e.V.“ spricht sich gegen die Strafverfolgung von Mitgliedern der letzten Generation aus und erklärt: „Aktuell gibt es kaum eine Repressionsmaßnahme, vor der die staatlichen Organe in ihrem Kampf gegen die Klimagerechtigkeitsbewegung zurückscheuen. Selbst rechtsstaatliche Minimalstandards werden dabei über Bord geworfen. Mit medialer Diffamierung und vollkommen überzogenen Repressionsschlägen versuchen Regierung und Behörden, die Betroffenen und ihr Umfeld einzuschüchtern und die Bewegung zu spalten.“

    Auch Ex-Bundesverfassungsrichter Voßkuhle hat sich gegen eine Kriminalisierung der „Letzten Generation“ ausgesprochen und bezeichnet das Vorgehen der Gruppe als „harmlose Sandkastenspiele“.

    § 129 eröffnet weitreichende Ermittlungsbefugnisse

    Der § 129 wird auch als “Schnüffelparagraph” bezeichnet, weil schon ein Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung ausreicht, um fast unbegrenzte polizeiliche Ermittlungen zu veranlassen. So können die Strafverfolgungsbehörden bei Verdacht auf § 129 StGB z.B. heimlich Chat-Verläufe auf Smartphones durchsuchen oder Wohnungen verwanzen.

    Voraussetzung für eine Strafverfolgung nach § 129 ist, dass der Vereinigung mehr als zwei Personen angehören, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. Die Vereinigung muss auch auf Dauer bestehen und den Mitgliedern müsen gewisse Rollen zugewiesen sein. Wichtig ist dabei, dass die Strukturen der Vereinigung von ihren Mitgliedern „unabhängig“ sind.

    Zudem muss die Vereinigung Straftaten planen, die im Falle des Falles mit mindestens zwei Jahren Höchststrafe bestraft würden. Darunter würde bspw. schon die “Nötigung” (§ 240 StGB) fallen, die nach herrschender Rechtsprechung im Regelfall bereits bei Straßenblockaden erfüllt ist. Seit einiger Zeit werden auffallend viele Gerichtsverfahren wegen Nötigung geführt, nicht alle führen jedoch zu einer Verurteilung.

    So hat z.B. das Amtsgericht Freiburg Ende letzten Jahres einen Aktivisten der „Letzten Generation“ vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen. Die Handlungen des Aktivisten hätten zwar den Tatbestand der Nötigung erfüllt, seien aber als „nicht verwerflich“ anzusehen.

    § 129er-Verfahren gegen antifaschistische, revolutionäre und kurdische Kräfte

    Den Straftatbestand § 129 gibt es seit 1951, er wurde seitdem jedoch mehrmals geändert. Der Wortlaut des Straftatbestandes legt nahe, dass er vor allen Dingen auf Gruppierungen der sog. “Organisierten Kriminalität” anzuwenden ist – tatsächlich konnten solche Gruppierungen jedoch bislang selten unter den Anwendungsbereich des § 129 StGB gefasst werden.

    Vielmehr wurde der § 129 überwiegend auf politische Organisationen angewandt, wie in den 50er Jahren gegen die KPD oder seit Ende der 90er Jahre gegen die  kurdische PKK, die nun über § 129b StGB kriminalisiert wird.

    Frankfurter PKK-Prozess: Abdullah Öcalan zu mehrjähriger Haftstrafe verurteilt – Neue Linie in der Kriminalisierung der kurdischen Bewegung

    Der Tatbestand des § 129 StGB wurde 2018 erheblich verschärft: So ist der Anwendungsbereich der Norm nicht mehr – wie in der alten Fassung – auf bestimmte Delikte begrenzt, sondern wurde durch die Verallgemeinerung auf Straftaten mit einem Höchstmaß von lediglich zwei Jahren erheblich erweitert.

    Im August 2020, ein Jahr nach den G20-Protesten in Hamburg, kam es so zu Hausdurchsuchungen in 28 Wohnungen und linken Zentren, die dem „Roten Aufbau Hamburg“ zugerechnet wurden. 22 Betroffenen wurde vorgeworfen, Mitglied in einer kriminellen oder gar terroristischen Vereinigung nach § 129 bzw. § 129a zu sein. Die Ermittlungen stellten das größte Verfahren gegen linke Strukturen seit Jahrzehnten dar und dienten der Einschüchterung der Aktivist:innen und ihres Umfeldes.

    Im Jahr 2021 wurde nach der polizeilichen Kriminalstatistik in 26 Fällen die Bildung einer kriminellen Vereinigung verfolgt.

    Auch mit § 129b, einer Abwandlung des § 129 für „ausländische“ Vereinigungen, wird immer wieder die kurdische Befreiungsbewegung kriminalisiert: So kam es erst vor einigen Wochen zur Verurteilung eines kurdischen Aktivisten vor dem OLG Frankfurt zu vier Jahren und fünf Monaten Haft. Dem Aktivisten wurde vorgeworfen, „PKK-Kader“ zu sein – eine individuelle Straftat konnte ihm dahingegen nicht zur Last gelegt werden. Nur einen Tag vorher wurde ein anderer kurdischer Aktivist vom OLG Koblenz zu fünf Jahren Haft verurteilt. Zudem kam es in Darmstadt, Nürnberg und Hannover zur Durchsuchung von Wohnungen kurdischer Aktivist:innen sowie kurdischer Zentren. Auch Aktivist:innen des palästinensischen Freiheitskampfes wie z.B. “Samidoun” werden mittels des § 129b verfolgt.

    Verurteilungen im Antifa Ost-Verfahren um Lina E. auf Grundlage zweifelhafter Beweislage

    Am Mittwoch ging auch das Verfahren gegen Lina E. und ihre drei Mitangeklagten zu Ende. Nach fast 100 Verhandlungstagen wurde Lina E. vom Oberlandesgericht Dresden zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Auch die drei Mitangeklagten wurden zu mehreren Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Unter anderem wurden auch sie wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 verurteilt.

    Die Verurteilung wurde auf teils problematische Zeug:innenaussagen und eine nicht durchweg fehlerfreie Ermittlungsarbeit gestützt. Zudem wurden die nur wenigen Indizien eines Kronzeugen – gegen den im Übrigen Vorwürfe der sexualisierten Gewalt bestehen – als ausschlaggebend erachtet. So sieht sogar die Generalstaatsanwaltschaft in dem Verfahren „nicht den einen erdrückenden Beweis“, sondern beurteilt die „Gesamtschau“ der Geschehnisse als ausreichend für eine Verurteilung. Damit werden rechtsstaatliche Standards unterschritten. Eine Haftstrafe bei nicht zweifelsfreier Feststellung des Tatvorwurfs und individueller Schuld, die zudem auf einen unbestimmten Straftatbestand gestützt werden, ist in unserem Rechtsstaat nicht vertretbar.

    Antifaschistin Lina E. zu mehr als fünf Jahren Haft verurteilt – Protest in mehreren Städten

    Unsere Solidarität gegen ihre Repression

    Das Verfahren gegen Lina E. und ihre Mitglieder zeigt wie so häufig, dass der § 129 – anders als gedacht – primär zur Repression linker Bewegungen genutzt wird. Der Straftatbestand scheint sehr offensichtlich antifaschistische und revolutionäre Kämpfe wie auch die kurdische und palästinensische Freiheitsbewegung schwächen und kriminalisieren zu wollen.

    Deshalb bleibt es notwendig, sich sowohl mit Lina E. als auch der „Letzten Generation“ – trotz ihrer mangelnden ideologischen Klarheit – solidarisch zu erklären und jede Repression entschieden zurückzuweisen. Jedes § 129er-Verfahren gegen linke Kräfte stellt einen Angriff auf die demokratisch erkämpften Rechte der Bevölkerung dar und erfordert eine klare Haltung.

    • Autorin Seit 2023. Angehende Juristin, interessiert sich besonders für Migration und Arbeitskämpfe. Alexandra ist leidenschaftliche Fußballspielerin und vermisst die kalte norddeutsche Art in BaWü.

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