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Samstag, April 27, 2024
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    Semesterstart: Studieren im Kapitalismus

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    Die Zeit an der Uni wird oft als ein Lebensabschnitt dargestellt, in dem man sich noch einmal richtig ausleben kann, bevor mit dem Arbeitsalltag der „Ernst des Lebens“ eintritt. Wie sieht die Situation von Studierenden zum Start des Wintersemesters 23/24 tatsächlich aus? – Ein Kommentar von Daniel Fröhlich

    Wenn uns als Schüler:innen von der Zeit an der Universität oder der Hochschule erzählt wird, kann es einem oft so vorkommen, als wäre es die aufregendste und schönste Zeit im Leben. Erst neulich hat der Autor in einer Vorlesung hören dürfen, die Uni sei „die schönste Zeit des Lebens“. Ja, es mag nicht immer alles stressfrei oder einfach sein – es muss schließlich hier und da auch mal gelernt werden, es gibt viel zu lesen und die ganzen Essays und Arbeiten werden auch mal die eine oder andere Nachtschicht in der Bibliothek erfordern – aber man feiert auch viel, verbringt Zeit mit Freund:innen, entdeckt neue Ideen, bekommt Anregungen und macht neue Erfahrungen. Hier wird man zu einem kritischen, selbstreflektierten und selbstständig denkenden Menschen – so das verbreitete Bild.

    Und es ist ja auch nicht alles falsch daran. Für viele Studierende ist die Zeit an der Uni eine Möglichkeit, sich von ihren Elternhäusern unabhängiger zu machen, neue Erfahrungen zu sammeln und Freundschaften fürs Leben zu schließen. Für viele ist es auch eine Möglichkeit auf einen besseren Status im kapitalistischen System, nicht nur für sich selbst, sondern oft auch für die gesamte Familie. Doch das Party-Image der Studienzeit und der progressiven Uni hinkt. Die Realität ist für ein Großteil der Studierenden eine andere.

    Die harte Realität

    Um ganz unromantisch anzufangen: Über ein Drittel der Studierenden in Deutschland ist von Armut betroffen. Das heißt unter anderem, dass sie es sich nicht leisten können, finanziell größere Ausgaben zu bestreiten, also über das absolut Notwendigste hinaus noch Geld auszugeben. Das Bild der armen Studierenden ist weit verbreitet, doch warum eigentlich?

    Heute studieren so viele Menschen wie noch nie, und wir kommen zu einem großen Teil aus Familien der Arbeiter:innenklasse. Ob unserer Eltern nun Uniabschlüsse haben oder nicht, arbeiten sie mit hoher Wahrscheinlichkeit für einen Lohn, und auch wir werden mit derselben, wenn nicht höheren Wahrscheinlichkeit in der Lohnarbeit enden – und die braucht eben immer häufiger einen Hochschulabschluss. Es ist für die allermeisten von uns auch kaum zu erwarten, dass wir eines Tages mit Monokel und Zigarre auf einem Geldhaufen sitzen werden, CEOs von internationalen Großkonzernen oder „wohlverdienende“ Spitzenpolitiker:innen sein werden. Ein Studium ist heute eben nicht den Reichen vorbehalten oder ein Freifahrtschein in höhere Gesellschaftsschichten, sondern ebnet in den meisten Fällen den Weg in die moderne Arbeiter:innenklasse.

    Viele von uns schuften jetzt schon in schlecht bezahlten Mini- oder Halbzeitjobs und müssen nebenbei noch schwindelerregend viel lernen und schreiben, um einen guten Uni- oder Hochschulabschluss zu schaffen. Die Kombination aus immer stärkerem Leistungsdruck und der sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation bilden dabei einen Teufelskreis. Die Lage wird sich durch den jetzt angekündigten Haushalt und den immer weiter voranschreitenden Sozialabbau nur noch verschlechtern.

    Und da ist ja noch das BAföG, für dessen Bezug das Studium in der Regelstudienzeit beendet werden muss und demnach kein Problem zwischendrin entstehen darf. Am Ende des BAföG-Bezugs stehen die Studierenden trotzdem häufig vor einem riesigen Berg an Schulden, der abbezahlt werden muss. Und dazu ist das BAföG an sich schon viel zu niedrig und entspricht in den meisten Fällen keiner menschenwürdigen Lebensrealität. Nun sollen auch noch diese Mittel gekürzt werden, was vermutlichlich zu einer Eingrenzung des Kreises der Empfangsberechtigten führen soll. Internationalen und geflüchteten Studierenden wird darüber hinaus der Zugang zum BAföG durch bürokratische Hürden und rassistische Aufenthaltsgesetze ohnehin schon erschwert.

    Hinzu kommt, dass die Wohnsituation von Studierenden alles andere als komfortabel und gesichert ist. In ganz Deutschland steigen die Mieten. Gekoppelt mit den hohen Energiekosten trifft das Studierende mit ihren ohnehin prekären Einkommen umso härter. Zwar sind Wohngemeinschaften immer eine Option, aber wer sich schon mal auf Apps wie “WG-Gesucht” umgeguckt hat, weiß wie schwierig es ist, einen geeigneten Platz in einer Gemeinschaftswohnung zu finden. Wer darüber hinaus vorhat, eine Einzelwohnung zu finden oder eine neue WG zu gründen, wird früher oder später mit der Erkenntnis konfrontiert, dass das ein noch unrealistischeres Unterfangen ist.

    Auf der Suche nach Alternativen in Studierendenwohnheimen sucht man ebenfalls vergebens. In ganz Deutschland herrscht nämlich in den Wohnheimen akuter Wohnplatzmangel. In Potsdam kommen dieses Jahr z.B. 33.000 Studierende auf nur 3.176 Wohnplätze. Zwar werden immer neue Wohnheime gebaut, aber in typisch kapitalistischer Manier dienen diese vorrangig als Wertanlagen für Investor:innen und erst zweitrangig als überteuerte, aber notwendige Wohn- und Schlafplätze für notdürftige Studierende.

    Man könnte an dieser Stelle noch viel vertiefter auf die Situation von Studierenden eingehen, auf die Situation migrantischer und geflüchteter Studierender, auf Gewalt gegen Frauen oder Sexismus an Universitäten und Hochschulen, auf die psychische Gesundheit und die Arbeitsverhältnisse von Studierenden. Das würde aber den Rahmen dieses ohnehin schon langen Artikels sprengen und wird eine Aufgabe für künftige Ausarbeitungen und Artikel sein.

    Auch ein anderer Mythos über deutsche Unis hält sich relativ hartnäckig: Nein, die deutschen Universitäten sind keine Hochburgen linksradikaler Ideologie, wo der Marxismus in den Vorlesungen verbreitet und die „armen Kinder“ für die bevorstehende grüne Revolution ausgebildet werden. Die Universitäten, Hochschulen und das gesamte Bildungssystem sind ein fester Bestandteil des staatlichen und kapitalistischen Systems.

    Wenn uns in den Schulen schon indirekt kapitalistische Wertvorstellungen wie Konkurrenz, Leistungsbereitschaft oder Gruppendenken beigebracht werden, dann werden diese an den Unis noch umso mehr gefestigt.

    Manche Dozierende mögen den Kapitalismus und das Patriarchat sogar in ihren Vorlesungen verwerfen. Solange sie jedoch nicht damit anfangen, den organisierten revolutionären Umsturz der Herrschaft des Kapitals zu propagieren, stellen sie keine Gefahr für das System dar und bieten der Uni vielmehr eine Chance, die berechtigte Wut und das aktivistische Potential der Studierenden zu kanalisieren, um sozusagen ein bisschen „Dampf“ abzulassen. Kein kritisches 15-Seiten-Essay, kein “Degrowth”-Seminar und erst recht keine staatlich finanzierten NGO werden das System grundlegend ändern.

    Universitäten sind auch nicht von der kapitalistischen Konkurrenz losgelöst und werden seit Jahren vielmehr kaputt gespart. Sie müssen deshalb um sogenannte „Drittmittel“, also Forschungsgelder von Privatunternehmen konkurrieren, um zu überleben. Dies ist nicht nur eine bequeme Ausrede für die Militärindustrie und Großkonzerne, um ihre Forschungsprojekte an unterbezahlte oder unbezahlte Studierende und Wissenschaftler:innen outzusourcen, sondern es ist auch ein gutes Mittel, um die Arbeitsintensität der wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen zu erhöhen und ihre Leistung zu maximieren. Die Universitäten und Hochschulen sind also nicht nur Fabriken der Ideologie, sondern sind auch direkt an der Entwicklung von Technologien beteiligt – und das nicht selten für das Militär oder die Repressionsbehörden.

    Die Universität als Nachschub-Fabrik geeigneter Arbeitskräfte

    Und was ist mit der Uni-Politik? Bei einer Kundgebung anlässlich der Einladung der AfD zur feierlichen Immatrikulation an der Universität Leipzig hat es ein Mitglied des “Studierendenkollektivs Leipzig” in einer Rede so formuliert: „Ob es jetzt der Nazi im Gewandhaus oder die unsoziale Politik der Regierung ist – wir Studierende sind dringend auf der Suche nach einer grundlegenden Alternative zum Kapitalismus und seinen Auswüchsen. Und genau hier hört auch die vermeintlicheNeutralität” und “Toleranz” der Uni auf. Stellen wir das System der Herrschenden in Frage und fangen an uns zu wehren, so wird die Hochschule gereizt und holt auch mal Polizei und Verfassungsschutz ran. Darin ist die Uni Leipzig besonders geübt, das sieht man wunderbar am Beispiel der ‘Kritischen Einführungswochen’. Die wurden bereits in den letzten Jahren von krassen Repressionen überzogen und sind auch dieses Jahr im Fadenkreuz der scheindemokratischen Studierendenvertretungen gelandet. Kein Wunder, antikapitalistische Ideen sind gar nicht im Interesse der durch und durch verbürgerlichten Universität, da werden die Vorträge von linken Kräften halt einfach verboten.“

    Gemeint waren die sogenannten “Kritischen Einführungswochen” (KEW) an der Uni Leipzig, zu denen linke Gruppen jedes Jahr zum Wintersemesterstart Vorträge, Workshops und ähnliche Veranstaltungen organisieren. Dieses Jahr wurden den sozialistischen Organisationen “Internationale Jugend” und “Zora” Räumlichkeiten verwehrt. Letztere wurden auch von Repressionen getroffen, nachdem sie sich entschlossen hatten, trotzdem ihren Vortrag in einem leeren Seminarraum zu halten. Schon 2021 hatte die Universität die Polizei zu Veranstaltungen von “CopWatch” im Rahmen der KEW eingeladen.

    Für eine klassenkämpferische Studierendenbewegung!

    Es ist also klar, dass die heutige Situation von Studierenden in Deutschland prekär ist. Zwar mögen die kapitalistischen Umstände hierzulande für viele erträglich sein, doch die Lage wird sich in den nächsten Monaten und Jahren nur zuspitzen. Die Mieten werden nicht magischerweise wieder fallen und die Ampel-Regierung wird die BAföG-Kürzung zugunsten der Aufrüstungspakete nicht zurücknehmen. Die allermeisten Studierenden sind und bleiben Teil der Arbeiter:innenklasse; der Klassenkampf geht uns als Studierende also ebenfalls an. Auch werden die Universitäten und Hochschulen sich nicht auf einmal dafür entscheiden, ihre Forschungsdeals mit Konzernen oder der Kriegsmaschinerie aufzugeben.

    Deshalb ist es an der Zeit, sich auch an den Universitäten klassenkämpferisch zu organisieren – gegen die Kürzungen auf unserem Rücken, für eine starke Arbeiter:innen- und Studierendenbewegung und den Sozialismus.

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