`
Donnerstag, Mai 2, 2024
More

    Wie die AfD mit Nadelstichen Pogrom-Stimmung schafft

    Teilen

    Geplanter Anschlag auf Alice Weidel? Nadelangriff auf Tino Chrupalla? Die AfD-Spitze scheint wenige Tage vor der Wahl im Kreuzfeuer zu stehen. Doch wahr ist daran wenig. Wladimir Putin und Elon Musk solidarisieren sich trotzdem, AfD-Politiker fordern schon mal zu Pogromen auf. Sie versuchen, unter dem Banner der „Verteidigung“ Stimmung für direkte Angriffe zu machen. Antifaschist:innen müssen sich darauf vorbereiten. – Ein Kommentar von Tim Losowsky.

    Es scheint wie eine heftige Zuspitzung gegen AfD-Politiker: „MORDVERSUCHE AUF DEUTSCHE RECHTE POLITIKER“ schreibt die niederländische Aktivistin Eva Vlaardingerbroek am Donnerstag auf Twitter. Auf einem dazugehörigen Bild zu sehen sind die AfD-Politiker:innen Alice Weidel, Tino Chrupalla und Andreas Jurca. Gepusht wird der Beitrag von niemand anderem als dem derzeit zweitreichsten Mann der Welt und Twitter-Besitzer Elon Musk: „Unreal“ kommentiert er und “this will backfire”.

    Und tatsächlich: wahr ist an der AfD-Story ziemlich wenig, doch es geht genau darum, eine Stimmung fürs “Zurückschießen” zu schaffen.

    Bei Alice Weidel soll die Schweizer Polizei am 23. September zwar gewesen sein und sie über mutmaßliche Informationen zu Angriffen auf ihre Person informiert haben. Dann sei sie in ein „Safehouse“ verbracht worden. Doch schon am 29. September war Weidel im Bundestag, reiste kurz danach mit ihrer Familie nach Mallorca und schwänzte dafür ihren Wahlkampfauftritt in Mödlareuth. Das überließ sie schön dem Fußvolk, dem sie gleichzeitig einen Bären aufband, als sie in einem Video so tat, als ob sie sich noch immer in einem „Safehouse“ befände, obgleich sie auf Malle weilte.

    Malle statt Mödlareuth: AfD-Chefin Weidel sagt Auftritt am “Tag der deutschen Einheit” ab

    Auch bei Tino Chrupalla stellt sich die Situation anders heraus als von der AfD dargestellt. Diese hatte am Donnerstag von einem “tätlichen Angriff” auf den AfD-Vize bei einer Wahlkampfveranstaltung in Ingolstadt berichtet. Nur: kein einziger Augenzeuge, nicht einmal Chrupalla selbst oder seine Personenschützer vom BKA können sich an einen „tätlichen Angriff“ erinnern. Im Arzt-Brief ist zwar  „intramuskulär eine Infektion mit einer noch unbekannten Substanz“ beschrieben, giftige Substanzen wurden jedoch keine im Blut gefunden. Der Vorfall bleibt dubios.

    Die dritte Person auf dem Bild ist Andreas Jurca. Dieser soll nach eigenen Angaben Mitte August auf dem Nachhauseweg von einem Grillfest tätlich angegriffen worden sein. In dem bisher undurchsichtigen Fall kam es darufhin in der vergangenen Woche zu Hausdurchsuchungen bei einem 19-Jährigen und einem 21-Jährigen. Auch das Mobiltelefon von Jurcas Begleiter wurde beschlagnahmt – dessen Rolle ist bislang unklar. Gegen Jurca wurde sogar Anzeige wegen „Vortäuschung einer Straftat“ gestellt, unter anderem wegen nahezu gleicher Verletzungen um die Augen. Ein Zeuge hatte zudem gegenüber der Augsburger Allgemeinen erklärt, er habe den AfD-Mann bereits um 0.30 Uhr – rund viereinhalb Stunden vor der angeblichen Tat – angetrunken und mit hartem Alkohol in der Hand gesehen. Selbst die AfD-Spitze blieb relativ schweigsam zu dem Fall.

    In einem weiteren Fall, über den die rechte Influencerin Vlaardingerbroek aber nicht berichtet, hatte ein Neonazi aus Chemnitz jüngst erklärt, Antifas hätten ihm die Finger mit einer Machete abgeschnitten. Mittlerweile ermittelt die Polizei gegen ihn selber: er soll mit einem Kumpanen die Tat geplant haben, um sie Linken in die Schuhe zu schieben.

    Lügen als Vorspiel zum Angriff

    Alle diese Fälle zeigen: Die Rechten haben kein Problem damit, zu lügen, Vorfälle vorzuschieben, Dinge aufzubauschen oder von ihren eigenen Fehltritten (wie Urlaub auf Malle im Wahlkampf) abzulenken.

    Darüber hinaus zeigen sie: es geht auch darum, die eigenen Leute aufzupeitschen, eine Stimmung für den eigenen Angriff zu schaffen, der natürlich aus der „Verteidigung“ heraus geschieht. Björn Höcke erklärte in einem Tweet schon einmal den thüringischen Ministerpräsidenten Ramelow zur Zielscheibe, nachdem der die AfD in der selbst gestrickten „Opferrolle“ gesehen hatte: „Er ist der geistige Brandstifter, der Gewalt sät“.

    Und sogar Wladimir Putin eilt zur Hilfe und stellt die Frage, ob die Gegner der AfD „Nazi-Methoden gegen die AfD“ anwenden würden.

    Der EU-Spitzenkandidat der AfD, Maximilian Krah, sprach die neue Linie am Donnerstag offen aus, nachdem einige AfDler einen Protestierenden bei einer Wahlkampfveranstaltung handgreiflich entfernt hatten: „Wir werden es lernen müssen, das Land wird härter, in jederlei Hinsicht.“

    Und die AfD-Anhänger wollen da mächtig voran preschen. Der Kreisvositzende der AfD Göppingen rief auf Facebook nach dem Chrupalla-Vorfall schon einmal zu Progromen auf: „50 Asylanten. Als. Vergeltung. Los. Geht’s.“

    Selbstschutz vorbereiten

    Wie sollen Antifaschisten jetzt auf dieses Vorgehen der AfD reagieren? Die sich stets als Anti-Nazi-Partei darstellenden Grünen wissen offenbar eine Antwort. Der grüne Minister und Spitzenpolitiker Cem Özdemir wünschte Chrupalla z.B. gute Besserung und stellte klar: „Unsere Demokratie lebt davon, dass wir uns gewaltfrei begegnen, egal wie groß der Widerspruch ist.“

    Dazu passt auch, dass die Grünen klar hinter dem Vorgehen stehen, das sich derzeit gegen verschiedene antifaschistische Kräfte entfaltet, die aktiv gegen Nazis kämpfen – etwa in Baden-Württemberg, wo die Grünen selbst mit an der Macht sind.

    Doch kann es Mitleid mit der Führung einer faschistischen Partei geben? Einer Partei, die an der Grenze auf Flüchtlinge schießen lassen will, die immer offener die Sprache des Faschismus spricht? Einer Partei, die vorhat, grundlegende soziale Errungenschaften in diesem Land wie z.B. die Unterstützung für Erwerbslose einzureißen? Welche die Bundeswehr für neue Kriege ausrüsten will?

    Hier lohnt es, sich auf die antifaschistischen Widerstandskämpfer zu besinnen, auf diejenigen, die sich vorbereitet hatten, um denjenigen, die nach Progromen geiern, entgegenzutreten.

    Etwa die Thesen der deutschen Kommunistin Clara Zetkin, die schon 1923 aus den Erfolgen der italienischen Faschisten schlussfolgerte, dass deren Machtantritt massiven Terror gegen die arbeitende Bevölkerung bedeuten würde, dem es deshalb kraftvoll entgegenzutreten gelte. Und die zugleich deutlich machte, dass man den Faschismus gleichermaßen ideologisch und politisch schlagen müsse, indem man aufzeige, dass er nur den Herrschenden dient. Als Antifaschist:innen haben wir die diese doppelte Aufgabe nun wieder zu meistern. Die Zeit drängt.

    • Hier berichtet die Perspektive-Redaktion aktuell und unabhängig

    • Perspektive-Autor und -Redakteur seit 2017. Schwerpunkte sind Geostrategie, Rechter Terror und Mieter:innenkämpfe. Motto: "Einzeln und Frei wie ein Baum und gleichzeitig Geschwisterlich wie ein Wald."

    Mehr lesen

    Perspektive Online
    direkt auf dein Handy!

    Weitere News