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Montag, April 29, 2024
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    Erste Frau zur IG Metall Chefin gewählt – Eine „Revolution“?

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    Mit Christiane Benner wurde Ende Oktober zum ersten Mal eine Frau an die Spitze der IG Metall gewählt. Die Zeitung Tagesspiegel betitelte dies als “Revolution”. Ist das so? Bringt die Wahl von Brenner Fortschritt und Veränderung in eine der weltweit größten Gewerkschaften oder ist es doch nur Altbekanntes, etwas moderner verpackt? – Ein Kommentar von Rudolf Routhier.

    Am 23. Oktober wurde mit Christiane Benner zum ersten Mal eine Frau erste Vorsitzende der IG Metall. Für viele der Beweis des Wandels, des Fortschritts in der traditionell von Männern dominierten IG Metall. Doch so ungewöhnlich war die Wahl dann doch nicht. Ganz im Gegenteil: Geprägt von Intrigen und Fraktionskämpfen hielt sich der Prozess ihrer Wahl detailgetreu an die ungeschriebenen Gesetze der hohen Gewerkschaftsfunktionär:innen.

    SPD Mitglied Christiane Benner ist seit 2011 Teil des geschäftsführenden Vorstands der IG Metall, 2015 wurde sie deren zweite Vorsitzende. Damit war sie offiziell die Spitzenkandidatin für den Posten der IG Metall-Spitze, sollte dieser frei werden. Gewerkschaftschef Jörg Hoffmann versuchte, Benner deswegen auf den symbolischen Posten als DGB-Chefin abzuschieben. Neue Nummer zwei im Vorstand sollte der Funktionär Romans Zitzelsberger werden. Als dies nicht funktionierte, versuchten Benner und Zitzelsberger einen Kompromiss zu finden. Nach dem Abgang von Hoffman sollten einfach beide die Gewerkschaft als Doppelspitze führen. Als dies auch nicht klappte, gab Zitzelsberger entnervt auf und zog sich auf seinen Posten als Bezirksleiter Baden Württembergs zurück.

    Eine “Revolution”, wie beispielsweise die Zeitung Tagesspiegel ihre Wahl betitelt, war es also nicht wirklich, wie Benner bei den Vorstandswahlen im Oktober, faktisch rein formell, auf ihrem Posten als neue Erste Vorsitzende bestätigt wurde. Die Entscheidung selbst war ja schon lange zuvor nach den internen Fraktionskämpfen zwischen Zitzelsberger und Hoffmann gefallen.

    Auch in Benners Positionen sucht man „Revolutionen“ bisher vergebens. So schildert sie im Podcast “Chefsache” der Zeitung Wirtschaftswoche zentrale Positionen und Pläne, die sie auf ihrem neuen Posten umsetzen möchte. Diese unterscheiden sich, trotz aller fortschrittlichen Schlagworte, nicht von der sozialpartnerschaftlichen Co-Management-Politik, für die die IG Metall hinlänglich bekannt ist. Im Fokus steht bei ihr weiterhin die Stärkung der deutschen Konzerne, nicht das Interesse der Arbeiter:innen.

    „Wir brauchen eine Brückenfinanzierung für Energieintensive Branchen“

    So ist eine der ersten konkreten politischen Forderungen, für die sich Benner in dem Interview ausspricht, eine Brückenfinanzierung großer Unternehmen in „energieintensiven Branchen“ durch den Staat. Diese könne „nicht bis ins Jahr 2028 oder 30 warten“. Kurz gesagt: Durch die Steuergelder der Arbeiter:innen, unter anderem die der IG Metall-Basis, sollen in Zukunft die Energiekosten der Industrie gedeckelt werden, damit diese noch größere Profite einfahren können.

    Eine fortschrittliche oder gar revolutionäre Politik sieht anders aus. Tatsächlich unterscheidet sich diese Forderung nicht von dem Vorgehen der deutschen Regierung während der Finanzkrise 2008, der Corona-Krise oder den Teuerungen im vergangen Jahr. Während Arbeiter:innen mit Einmal-Zahlungen abgespeist werden, sollen zur angeblichen „Rettung“ der Wirtschaft Milliarden ausgegeben werden. Dass eben jene Unternehmen zu den Gewinner:innen der letzten Krise gehören und sich nicht trotz, sondern gerade wegen der steigenden Preise über massive Profisteigerungen freuen konnten, wird an dieser Stelle gekonnt ignoriert. Stattdessen wird das Schreckgespenst der Abwanderung wichtiger Konzerne heraufbeschworen. So müssen die Unternehmen den Arbeiter:innen nicht einmal mehr selbst mit „Geld her oder Arbeitsplatzverlust“ drohen. Nein die Umverteilung von unten nach oben wird gleich von den Gewerkschaften, den angeblichen Interessenvertreter:innen der Arbeiter:innen, vorauseilend selbst organisiert.

    „Am Ende sind unter dem Tarifvertrag immer zwei Unterschriften“

    Im Interview betont Benner ebenfalls die Wichtigkeit der Gewerkschaften beim „Erhalt des sozialen Friedens“. Dazu müsse die sogenannte Sozialpartnerschaft „weiter ausgebaut werden“. Wie das in der Praxis aussehen soll, illustriert sie einige Minuten später bei der Frage, wie denn erfolgreiche Verhandlungen geführt werden sollen. Ihre Devise ist, den Unternehmen bloß nicht auf die Füße zu treten, denn, wie sie sagt: „Man kann die Rechnungen nicht ohne den Wirt machen“. Deswegen sei es sehr wichtig, bei Tarifverhandlungen die „roten Linien“ der Unternehmen zu kennen und zu berücksichtigen. Nicht umsonst schmückt ihr Zitat „Man braucht Empathiefähigkeit um sich in den Klassenfeind hineinzuversetzen“ stolz die Überschrift des Podcasts.

    Das Wort „Klassenfeind“ sagt sie dabei im spöttischen Tonfall, als wäre bereits der Gedanke daran, dass Unternehmen und Arbeiter:innen keine gleichwertigen Partner mit gemeinsamen Interessen und Ziele, sondern „Feinde“ seien, an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Besser kann eigentlich gar nicht gezeigt werden, warum Sozialpartnerschaftspolitik unweigerlich auf Kosten der Arbeiter:innen geht. Denn der Klassenkampf, und damit auch Tarifverhandlungen, sieht keine freundliche und rücksichtsvolle Diskussionen unter Freunden mit gleichem Interesse vor, sondern tatsächlich einen Kampf.

    Wie sich in Tarifverhandlungen die Interessen und „roten Linien“ der Konzerne auf die Arbeiter:innen auswirken, lässt sich immer und immer wieder beobachten – sei es bei der Bahn, dem Öffentlichen Dienst, dem ÖPNV oder auch der Automobil- und Stahlindustrie. In der Praxis sahen fast alle gewerkschaftlichen Streiks so aus, dass trotz einer großen Streik- und Kampfbereitschaft der Basis die Gewerkschaftsfunktionär:innen zusammen mit den Unternehmen faule Kompromisse aushandelten und Reallohnsenkungen abnickten und durchdrückten.

    Anstatt also wirklich zu kämpfen, wird einseitig das Interesse der Unternehmen als gesamtgesellschaftliches Interesse und „sozialer Friede“ verkauft. Und selbst dann ist das Hauptziel natürlich auch nicht eine Verbesserung der Lage der Arbeiter:innen, sondern, wie Benner an anderer Stelle betont, „Industriearbeit attraktiver zu machen“. Tarifverträge werden so zu bloßen PR- und Werbemitteln der jeweiligen Unternehmen.

    Abschiebungen? – „Haken hinter aus Sicht der IG Metall“

    Die Frage, ob Benner als SPD-Mitglied manchmal mit ihrer Partei hadert, verneint sie gegen Ende wenig überraschend nicht. Selbst hinter die neue Asylrechtsverschärfung und die damit verbundenen Aufrüstung der Abschiebebehörden möchte sie „einen Haken machen“ und spricht dabei nicht nur für sich, sondern gleich für die ganze IG Metall. Sie beendet das Interview mit einem Appell an die Regierung, die bereits erwähnte „Brückenfinanzierung“ der Unternehmen endlich zu verabschieden. Konkrete Forderungen zur Unterstützung von Arbeiter:innen finden im Schlusswort keinen Platz. Besser kann man gar nicht zusammenfassen, wessen Interessen hier eigentlich vertreten werden.

    Abschließend wird Brenner gefragt, ob sie noch eine Frage an den nächsten Gast – ein Aufsichtsratsmitglied des Autozulieferer-Monopols Continental habe. Continental machte erst kürzlich Schlagzeilen mit der Ankündigung, weltweit über 5.000 Stellen zu streichen. Benners Frage lautet deswegen natürlich, wie man die Beschäftigten stärker hinter die Ideen und Unternehmensstrategie von Continental bringen kann.

    Die Übergange zwischen Gewerkschaft und Unternehmensberatung sind scheinbar fließend. Die Übergange zwischen Gewerkschaft und Continental selbst übrigens auch. Benner selbst kennt das Unternehmen jedenfalls sehr gut, schließlich ist sie dort ebenfalls Mitglied im Aufsichtsrat.

    Eines wird auch bei der Wahl von Frau Benner wieder ganz klar. Wer jetzt auf welchem Posten sitzt, verändert in der Realität faktisch nichts. Auch eine erste Frau an der Spitze der IG Metall oder des DGB werden daran nichts ändern. Veränderung oder gar Revolutionen können nicht bei den Hinterzimmergesprächen der Funktionär:innen beschlossen werden. Dies kann nur, weitab von jeder vorgeblichen Sozialpartnerschaft, von den Arbeiter:innen selbst erkämpft werden. Ohne Empathie für den „Klassenfeind“.

    • Perspektive-Autor seit Sommer 2022. Schwerpunkte sind rechter Terror und die Revolution in Rojava. Kommt aus dem Ruhrpott und ließt gerne über die Geschichte der internationalen Arbeiter:innenbewegung.

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