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Samstag, April 27, 2024
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    Stellungskrieg in der Ukraine: Kommen bald Verhandlungen?

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    Die Front im Ukraine-Krieg entwickelt sich zunehmend zu einem Stellungskrieg. Auch Unterstützer:innen der Ukraine sprechen von einer Patt-Situation, die nur durch Verhandlungen zu lösen sei. Kriegsbeobachter:innen entwerfen bereits Modelle für kommende Friedensabkommen.

    21 Monate ist es her, dass der Krieg in der Ukraine mit dem Einmarsch Russlands im Osten des Landes eine neue Stufe der Eskalation erreichte. Im vergangenen Jahr gab es von beiden Seiten mehrere Großoffensiven, die allerdings alle nicht den je erhofften Erfolg brachten.

    Die 1.200km lange Frontlinie in der Ukraine verläuft seit letztem Herbst nahezu unverändert von Cherson am Schwarzen Meer über Donezk und Bachmut bis zur russischen Grenze östlich von Charkiv. Dabei hält Russland neben der Halbinsel Krim große Teile der Regionen Khersons’ka, Saporischschja, Donets’ka und Luhans’ka besetzt.

    Beide Seiten starten immer wieder Offensiven für minimale Landgewinne, die sich im Rahmen von hunderten Metern bis wenige Kilometer bewegen. Vor wenigen Wochen hat zudem die „Rasputiza“ – die vorwinterliche Regenperiode in Osteuropa – begonnen. Ein großer Teil der ländlichen Gebiete versinkt dabei im Schlamm, wodurch auch die zahlreichen Schützengräben unter Wasser stehen und feststeckende Fahrzeuge zu einer leichten Zielscheibe werden.

    Unterstützung der USA schwindet – EU stockt auf

    Am 14. November kündigte die Ampelregierung an, die Militärhilfen für die Ukraine im Bundeshaushalt 2024 zu verdoppeln und 8 statt 4 Milliarden auszugeben. In den USA erklärte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, dass bereits 96% der aktuell beschlossenen Militärhilfen aufgebraucht seien.

    Aufgrund der innenpolitischen Machtkämpfe zwischen Demokraten und Republikanern ist noch unklar wie die amerikanische Unterstützung in Zukunft aussehen wird, tendenziell könnte sie jedoch abnehmen. Der EU-Außenvertreter Josep Borrell kündigte derweil an, dass die EU die sinkenden Ausgaben der USA übernehmen müsse.

    Ukraine-Aufrüstung: Deutschland und USA kündigen weitere Militärhilfen für Ukraine an.

    Für die kommenden Monate gibt es daher zwei mögliche Szenarien: ein zweiter Offensivanlauf oder bald beginnende Friedensverhandlungen.

    Offensive bedeutet stärkere Rekrutierung

    Sowohl in der Ukraine als auch in Russland würde eine weitere Offensive mit der Rekrutierung größerer Teile der Bevölkerung einhergehen. In der Ukraine erklärten Militärs: „Wir müssen die Mobilmachung breiter ausführen. Wir müssen 20-Jährige mobilisieren, 18-Jährige. Wo liegt das Problem? Dass es Studenten sind? Na und?“

    Auch die stärkere Rekrutierung von Frauen steht seit einer Weile im Raum und wird in beiden Ländern bereits umgesetzt. Seit dem 1. Oktober 2023 bereits müssen sich ukrainische Frauen mit einer medizinischen oder pharmazeutischen Ausbildung für die Wehrpflicht registrieren. Hinzu kommen gezielte Werbekampagnen, um Frauen für den Dienst in der Armee zu motivieren. Auch in Russland versucht das Verteidigungsministerium, gezielt Frauen als Drohnenpilotinnen und Scharfschützinnen für die Söldnereinheit „Redut“ zu rekrutieren.

    Russland und Ukraine rekrutieren vermehrt Frauen für die Armee

    Verschiedene Modelle für Verhandlungen

    Wahrscheinlicher ist allerdings, dass die Front eingefroren und es zu Friedensverhandlungen kommen wird: „Ich denke, es ist an der Zeit, realistischerweise Friedensgespräche zu fordern. Ich weiß, dass Präsident Selenskyj das nicht will“, sagte der republikanische Abgeordnete Andy Harris, der als einer der entschiedensten Befürworter der Militärhilfen für die Ukraine gilt, bereits im August. „Präsident Selenskyj würde den Krieg ohne unsere Hilfe kläglich verlieren. Und mit unserer Hilfe wird er nicht gewinnen. Es ist jetzt eine Pattsituation.“

    Die BILD-Zeitung berichtet unter Berufung auf einen unbekannten Beamten, dass sich Joe Biden und Olaf Scholz bereits im März in einem Gespräch darauf geeinigt hatten, die Militärhilfe einzuschränken und so indirekt Druck auf den ukrainischen Präsidenten Selenskyj auszuüben. Das Ziel der Bundesregierung sei nun, die Ukraine in eine „strategisch gute Verhandlungsposition“ zu bringen. Sollten Friedensverhandlungen scheitern, bestünde ein Plan B darin, den Konflikt einzufrieren und ohne Einigung quasi eine neue Grenze zu ziehen.

    Kriegsbeobachter:innen haben bereits verschiedene Modelle entwickelt, die in der kommenden Zeit Realität werden könnten:

    Nach dem “Israel-Modell” würde sich die Ukraine in Verhandlungen um die von Russland besetzten Gebiete dazu verpflichten, nicht der NATO beizutreten. Gleichzeitig würde die Ukraine aber zum engsten Verbündeten der USA in Osteuropa werden. Das würde ähnlich wie in Israel mit starken Sicherheitsgarantien durch die USA bzw. die NATO einhergehen.

    Das von US-Medien als “Deutschland-Modell” bezeichnete Vorgehen, das sich auf die Teilung nach dem ersten Weltkrieg bezieht, würde „Sicherheit vor Territorien“ setzen. Im Zuge eines Abtretens von ukrainischen Gebieten würde ein Beitritt zur NATO und eventuell sogar zur EU ermöglicht werden.

    Das “Korea-Modell” würde die für die Ukraine negativen Folgen aus den beiden vorherigen Szenarien kombinieren. Ihm zufolge würden Gebiete abgetreten werden, aber gleichzeitig würde kein NATO-Beitritt stattfinden. Dies könnte durch die Belastungsgrenze der Ukraine in einem endlosen Stellungs- und Auszehrungskrieg zustande kommen, wodurch die Ukraine zu einem schnellen Waffenstillstand gezwungen werden würde.

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