Einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft nach sind Personen im Rentenalter glücklicher, wenn sie arbeiten gehen. Der springende Punkt hierfür liegt aber woanders. – Ein Kommentar von Marlon Glaiß
Rentner:innen in Deutschland sind „besonders zufrieden“, insbesondere diejenigen, die noch arbeiten gehen. Das verkündete vor wenigen Tagen eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW): Auf einer Skala von eins bis zehn sind erwerbstätige Rentner:innen um ganze 0,1 (!!) Punkte glücklicher. Dabei ging es auch nicht nur um finanzielle Gründe, sondern auch um soziale Kontakte.
„Finanzielle Gründe sind nachrangig“
Erst im März hatte die Bundesregierung ihre Reformpläne für die Rente in Deutschland vorgestellt. Ihnen zufolge soll die Rente auf dem derzeitigen Niveau von 48 Prozent des Durchschnittsgehalts bleiben. Das soll vor allem durch Beitragserhöhungen der Einzahlenden und durch das sogenannte „Generationenkapital”, auch „Casino-Rente” genannt, ermöglicht werden. Diese Pläne machen klar, dass weiterhin Arbeiter:innen und Rentner:innen durch erhöhte Einzahlungen und die risikoreiche Aktienrente unter der Rentenpolitik leiden werden.
Neben unsicheren Rentenplänen sind in Deutschland so oder so schon Millionen Menschen von Altersarmut betroffen. Im Jahr 2021 war es jede fünfte Person über 80 Jahren, die Tendenz steigt weiter an. Insbesondere ältere Frauen leben in ärmlichen Verhältnissen. Im letzten Jahr erhielt jede dritte Frau selbst nach 40 Jahren Vollzeitarbeit eine Rente unter 1.000 Euro netto.
https://perspektive-online.net/2023/01/millionen-rentnerinnen-leben-in-armut-trotz-40-jahren-arbeit/
Dass das Institut der deutschen Wirtschaft davon schreibt, dass finanzielle Gründe, aus denen Rentner:innen arbeiten gehen, nachrangig seien, scheint daher eher fragwürdig zu sein. Außerdem werden ältere Menschen neben der eh schon geringen Rente besonders von den weiter steigenden Preisen und Mieten hart getroffen.
Soziale Kontakte auf Arbeit suchen?
Nimmt man aber tatsächlich an, dass es erwerbstätigen Rentner:innen doch weniger um finanzielle Probleme geht, sondern wie in der Studie des IW beschrieben eher um soziale Kontakte, stellt sich eine weitere Frage: wieso suchen sie sich die Arbeitsstelle als Ort für soziale Kontakte aus?
Spätestens seit Beginn der hohen Teuerungen stecken soziale Einrichtungen in Deutschland in einer tiefen Krise. Preissteigerungen von Strom und Wärme und hohe Investitionskosten machen Trägern im ganzen Land zu schaffen. Nicht nur das „Jugendclubsterben“ hat sich in der ganzen Republik breit gemacht, sondern auch für Frauen, Familien und eben Senior:innen fallen immer mehr Angebote weg. Hinzu kommt die Aufrüstungspolitik der Bundesregierung, die den sozialen Bereich massiv wegkürzt und stattdessen das Geld ins Militär steckt.
Rentner:innen wird also immer häufiger die Möglichkeit genommen, sich im Alter bei sozialen Trägern einzubringen und dort Kontakte zu knüpfen. Dieses Bedürfnis auf der Arbeit zu stillen, scheint daher doch eher wie ein Hilfeschrei. Schließlich leiden Senior:innen überdurchschnittlich oft an Depressionen und Einsamkeit.
Es stellt sich die abschließende Frage: Was ist eigentlich irrwitziger: eine Studie darüber zu veröffentlichen, dass Rentner:innen bloß arbeiten zu gehen brauchen, um glücklich zu sein, oder die Politik selbst, die ältere Menschen in die Erwerbstätigkeit drängt?