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Samstag, April 27, 2024
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    Kontaktverbot – ein Repressionsmittel

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    Kapital und Staat wurden von Corona-Pandemie und Wirtschaftscrash überrumpelt. Mit dem bundesweiten Kontaktverbot gehen sie nun in die Offensive und bereiten massive Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse vor. – Ein Kommentar von Thomas Stark

    Kommt sie nun oder kommt sie nicht? Die Diskussion über eine bundesweite Ausgangssperre wie in Frankreich, Spanien und Italien beherrschte seit Tagen die deutsche Politik und die Medien.

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    An diesem Sonntagnachmittag fand nun die entscheidende Telefonkonferenz zwischen der Bundeskanzlerin und den Chefs der Länder statt: Ausgangssperre soll die Maßnahme zwar nicht heißen. Was Bund und Länder beschließen, ist jedoch ein flächendeckendes Verbot von Treffen von mehr als zwei Personen. Bei Verstößen soll es scharfe Sanktionen geben.

    Wie sperrt man eine ganze Bevölkerung ein?

    Viele hatten die Verkündung einer bundesweiten Ausgangssperre bereits am Mittwoch erwartet, als Kanzlerin Merkel vor die Fernsehkameras trat. Sie beließ es jedoch zunächst bei einem scharfen Appell an die Bevölkerung, soziale Kontakte zu vermeiden, sowie der kaum verhohlenen Drohung mit weitergehenden Maßnahmen. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) legte vor dem Wochenende noch einmal nach: Der Staat werde sich das Verhalten der Bevölkerung am Samstag genau anschauen – und dann seine Entscheidung fällen.

    Im Klartext: Entweder Ihr bleibt freiwillig zu Hause, oder wir sperren Euch ein. Gleichzeitig schufen zahlreiche Länder und Kommunen Tatsachen und verhängten die allgemeine Ausgangssperre entweder direkt selbst, wie Bayern es getan hat. Oder sie schränkten das Aufenthaltsrecht im Freien einfach so weitgehend ein, dass damit derselbe Effekt erzielt wird: Das Versammlungsverbot für mehr als zwei Personen gab es schon am Wochenende in zahlreichen Großstädten in NRW.

    Was in der Presse als „Flickenteppich“ von Regelungen kritisiert wurde, folgte aus Sicht des Staates einem politischen Kalkül: Während zahlreiche Initiativen aus der politischen Widerstandsbewegung ihre Aktionen schon in der vorvergangenen Woche freiwillig abgesagt hatten, hat ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung den Ausnahmezustand zunächst tagelang ignoriert.

    In den ersten schönen Frühlingstagen des Jahres gab es aus nahezu allen Städten des Landes Bilder von geselligen Runden im Park, überfüllten Baumärkten und langen Schlangen vor den Eiscafés. Der politische Preis für die gewaltsame Durchsetzung einer Ausgangssperre gegenüber hunderttausenden normalen BürgerInnen wäre am Mittwoch oder Donnerstag wohl noch zu hoch gewesen. Zumal es höchst zweifelhaft ist, ob Polizei und Ordnungsämter überhaupt in der Lage wären, eine allgemeine Ausgangssperre wirklich durchzusetzen, wenn weite Teile der Bevölkerung partout nicht mitmachen und lieber draußen feiern wollen (wir können uns hier vielleicht an das Phänomen des Massen-„Cornerns“ beim G20-Gipfel in Hamburg erinnern).

    Deshalb kam es für die Regierung in den vergangenen Tagen darauf an, Zeit zu gewinnen und die Angst vor dem Corona-Virus intensiv zu nutzen, um einen möglichst großen Teil der Menschen im Land politisch und stimmungsmäßig hinter dem Ausgehverbot zu versammeln. Zugleich haben die Behörden verschiedene Varianten dieses Verbots regional getestet. Am Wochenende schien es nun, als sei dieses Vorgehen erfolgreich gewesen: Die Straßen blieben in vielen Städten weitgehend leer, und das Kontaktverbot nach NRW-Art empfahl sich als neuer bundesweiter Standard.

    Offensive gegen die ArbeiterInnenklasse

    Die schrittweise, herantastende Umsetzung des Ausnahmezustands ist beispielhaft für den Widerspruch zwischen Überrumpelung und strategischer Planmäßigkeit, der sich in der Corona-Krise durch das Handeln des Staats zieht: Die Ausbreitung der Pandemie und die gleichzeitige massive Verschärfung der Wirtschaftskrise haben die Regierung auf dem falschen Fuß erwischt. Es stellt sich nicht nur heraus, dass das Gesundheitssystem im allgemeinen nicht auf solche Ereignisse vorbereitet ist, sondern auch, dass jahrzehntealte Pandemie-Pläne niemals umgesetzt worden sind – wie sich am katastrophalen Mangel an einfachsten Dingen wie Schutzmasken und Desinfektionsmitteln sehen lässt. Dies zeigt im Übrigen die ganze Heuchelei hinter den Solidaritätsappellen der Kanzlerin und ihrer Minister.

    Ebenso wenig sind Kapital und Staat auf die Schwere der jetzigen Wirtschaftskrise vorbereitet, oder könnten es sein. Zwar spulen Kanzlerin, Finanz- und Wirtschaftsminister in Zusammenarbeit mit EU-Kommission und EZB jetzt in kürzester Zeit alle Pläne herunter, die für den Fall eines Crashs schon lange in der Schublade liegen. Dahinter steht aber nicht weniger als nackte Verzweiflung angesichts eines akut drohenden Zusammenbruchs der Kreditmärkte, der eine Kettenreaktion für Industrie, Banken und Eurozone nach sich ziehen würde. – Das alles unter den Bedingungen nie dagewesener Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft, allen voran einem historischen Niveau der Verschuldung von Staaten, Unternehmen und Privatpersonen. Eine solche Krise hat es schlichtweg noch nie gegeben.

    Eine Bewältigung dieser Krise im Sinne von Kapital und Staat ist ökonomisch nur möglich, wenn die ArbeiterInnenklasse letztlich mit ihrem Lohn dafür bezahlt, die wichtigsten Unternehmen mit dem Geld gerettet und die Profite gesichert werden. Angesichts der Dimension der Krise wird dies historische Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der ArbeiterInnen erforderlich machen.

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    Es ist aus Sicht des Staats völlig unabsehbar, welche Dynamiken diese Maßnahmen im Zusammenwirken mit der Pandemie in der Bevölkerung auslösen werden. Die Verhängung des Versammlungsverbots mit unbestimmter Dauer dient dem Staat also nicht dazu, Risikogruppen vor einer Corona-Infektion zu schützen, sondern in dieser Gemengelage die Kontrolle zu behalten: ArbeiterInnen, die keinen Kontakt miteinander haben dürfen, haben weniger Möglichkeiten zum Widerstand.

    Die Diskussion über Wege für die ArbeiterInnen, aus dieser Einkesselung auszubrechen, ist bereits eröffnet worden.

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    • Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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