Der heiße Herbst ist ausgeblieben, es sei ein „laues Lüftchen“, der Wut-Winter nur ein Traum der „Extremisten“, so der Verfassungsschutz. Wie ist diese Entwicklung zu erklären? – Ein Kommentar von Fridolin Tschernig
Der Verfassungsschutz warnte im September noch vor einer Verbindung der Proteste gegen den Ukraine-Krieg und der Wirtschaftskrise. Vor drei Tagen nun, am Mittwoch, ließ der Verfassungsschutz verlauten, dass der „heiße Herbst“ ausgeblieben sei. Von einem „Wutwinter“ sei nicht auszugehen.
Die Entwicklung der Proteste
Und tatsächlich ist es so, dass die Teilnehmer:innenzahl bei den Montagsprotesten Anfang Oktober ihren Höhepunkt erreicht hatte, so die Innenministerien der Länder. In Ostdeutschland sollen über 90.000 Demonstrierende am 3.10 auf der Straße gewesen sein.
Die Zahl der Versammlungen bleibt hingegen etwa in Sachsen mit 100 Demonstrationen jeden Montag eher konstant. Es scheint also durchaus weiter protestwillige Organisationen zu geben, vermutlich sind viele von ihnen dem faschistischen Spektrum zuzuordnen. Nur die Menschenmassen, die sie mobilisieren können, sind offenbar eingebrochen.
Während im „Osten Deutschlands der Sprung zur Massenbewegung“ möglich erschien, ging von den gesamten westlichen und südlichen Bundesländern gerade mal ein Zehntel der Mobilisierungskraft Ostdeutschlands aus.
Gründe für das Abklingen
Viele Faktoren haben auf die seit September Einfluss auf die Potentiale für eine massenhafte Antikriegs- und Antikrisenbewegung genommen. Seien es nun die sozialdemokratisch und gewerkschaftlich geführten Großdemonstrationen, die jedoch vereinzelt geblieben sind, die regelmäßigen Montagsproteste der Faschist:innen, die wiederum nur einen bestimmten Teil der Arbeiter:innenklasse ansprechen oder die Tatsache, dass die klassenkämpferischen Organisationen, die selbstständig gegen die Abwälzung der Krisenfolgen auf unseren Rücken demonstriert haben, zu schwach waren, um ein umfassender Anziehungspunkt zu werden. Die Ampelregierung aus Grünen, SPD und FDP hat mit ihren „Entlastungspakete“ ihr übriges getan, um zu beschwichtigen.
Diese widersprüchlichen Einflüsse sind ein Ausdruck des Kampfes um die Führung und politische Orientierung der Proteste. Durch die sich so ergebenden teilweise widersprechenden Forderungen und Beschwichtigungen konnte sich die Antikriegs- und Antikrisen-Bewegung gar nicht stringent und kraftvoll in eine Richtung entwickeln, was ein Grund für den ausbleibenden Wutwinter sein könnte.
Ampel beschließt nächstes Ablenkungsmanöver mit dem Namen “Entlastungspaket”
Die Ablenkungsmanöver der Bundesregierung durch winzige Einmalzahlungen für die steigenden Gaspreise oder die vorgetäuschten Verhandlungserfolge der DGB-Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen zeigen ihre Wirkung. Die frierenden Arbeiter:innen lassen sich täuschen. Gerade das Zurücknehmen der Gasumlage hat denjenigen, die zu protestieren bereit waren, viel Wind aus den Segeln genommen.
Auch die Verteufelungskampagnen aller Proteste als „Querfront“ oder „Russland-Freunde“ durch die bürgerliche Presse haben zum Abflauen des Demonstrationsgeschehens beigetragen. Ein Großteil der verarmenden Arbeiter:innenklasse will eben verständlicherweise nicht mit Faschist:innen in Verbindung gebracht werden.
Darüber hinaus ist immer noch, trotz der Phrase, dass man ja aus den Corona-Protesten gelernt habe, eine große Zurückhaltung bei vielen fortschrittlichen Organisationen zu sehen, überhaupt gegen die Krise und den Krieg auf die Straße zu gehen und überhaupt Proteste zu organisieren.
Ein Sieg der Regierung und des Kapitalismus?
All diese Gründe zusammengetragen ergeben das Bild, welches uns heute auf der Straße begegnet: Zwar protestieren noch eine beträchtliche Anzahl an Arbeiter:innen und Kleinbürger:innen gegen die Verarmung, insbesondere in Ostdeutschland, aber eine klare politische Orientierung fehlt aber entweder vollkommen oder wird mehr und mehr von den Faschist:innen eingenommen, womit auch die Gruppe der Protestierenden mehr und mehr auf diejenigen zusammenschmilzt, die hiermit kein Problem haben.
Die Krise wird aber nicht schwächer oder weniger schlimm werden, sie wird uns auch noch nächstes Jahr begleiten.
Wir müssen als verarmende Klasse immer weiter auf die Straße gehen und dürfen uns nicht unterkriegen lassen. Auch wenn wir vielleicht entmutigt sind und die Zukunft nur noch mehr Unsicherheiten und Instabilitäten mit sich bringt, können wir uns die Krise dieses Systems nicht einfach gefallen lassen. Und vielleicht erwartet uns ja nächstes Jahr ein „furioser Frühling“.