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Donnerstag, Mai 2, 2024
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    „Gemeinsames Europäisches Asylsystem“: Abschaffung der letzten Reste des Rechts auf Asyl

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    Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte die Einigung der EU-Innenminister:innen Anfang Juni in Luxemburg „historisch“ und sprach von einer „neuen, solidarischen Migrationspolitik“. In Wahrheit ist sie das genaue Gegenteil: Die Abschaffung der letzten Reste des Rechts auf Asyl und der massive Ausbau der Festung Europa zur Flüchtlingsabwehr. Damit werden die Forderungen von faschistischen Kräften nun zur offiziellen EU-Agenda. – Ein Kommentar von Kevin Hoffmann

    Nach jahrelangen Auseinandersetzungen über die Verteilung von Flüchtlingen in der EU und die möglichst effektive Abwehr bereits außerhalb der EU-Grenzen haben sich die EU-Innenminister:innen am 8. Juni auf massive Verschärfungen im EU-Asylsystem verständigt. Diese bedeuten eine faktische Abschaffung des Asylrechts für einen Großteil der Schutz suchenden Flüchtlinge. Die „Festung Europa“ wird damit weiter ausgebaut und perfektioniert, ihre Abschiebemaschinerie mit Milliarden Euro pro Jahr geschmiert.

    Lager und Schnellverfahren

    Die Innenminister:innen der EU-Länder haben sich bei ihrem Treffen darauf geeinigt, dass Flüchtlinge, die aus einem sogenannten sicheren Drittstaat einreisen oder aus Ländern kommen, aus denen durchschnittlich weniger als 20 Prozent der Asylsuchenden aktuell anerkannt werden, ihre individuellen Fluchtgründe gar nicht mehr darlegen dürfen. Stattdessen sollen sie bis zu drei Monate lang unter haftähnlichen Bedingungen eingesperrt werden, während in einem Schnellverfahren entschieden wird, ob sie überhaupt einen Asylantrag stellen dürfen. Diese Internierung in Lagern soll es auch für Familien mit Kindern geben.

    Dieses Schnellverfahren würde aktuell etwa für alle Menschen aus der Türkei, Indien, Tunesien, Serbien oder Albanien gelten. Ebenso für alle Menschen, die über so definierte „sichere Drittstaaten“, also Nordafrika oder Osteuropa, versuchen in die EU einzureisen. Je nach Ausgang des Grenzverfahrens können die Geflüchteten dann entweder unter Zwang abgeschoben oder bei entsprechender Beurteilung der Chancen dann für die Durchführung eines regulären Asylverfahrens ins Land gelassen werden. Zudem soll die Überwachung und Abschiebung abgelehnter Asylsuchender erleichtert werden, zum Beispiel, indem mehr Daten über sie gesammelt und zentral gespeichert werden.

    Durch Schnellverfahren soll im Idealfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob die Geflüchteten Chancen auf Asyl haben. Wenn nicht, sollen sie so schnell wie möglich abgeschoben werden. Die Gesamtdauer des Asyl- und Abschiebeverfahrens an der Grenze soll laut dem Rat der EU nicht mehr als sechs Monate betragen. Auch Deutschland soll künftig solche Schnellverfahren an seinen internationalen Flughäfen ausführen.

    In der Realität dürften diese Verfahren dazu führen, dass die Geflüchteten ohne einen Rechtsbeistand über Monate oder Jahre in Lagern eingesperrt werden, wo sie auf ihre Abschiebung in ein Drittland in Nordafrika oder dem Balkan warten oder direkt in ihr Heimatland abgeschoben werden, aus dem sie geflohen sind.

    Die Definition von “sicheren Drittstaaten” schließt die Haupttransitländer Türkei, die Maghreb-Staaten in Nordafrika, fast alle Staaten des Balkan und sogar Teile Libyens ein. Zudem soll es den EU-Mitgliedsstaaten künftig nicht mehr verboten sein, Menschen in Grenzlagern festzusetzen, die aus Staaten mit einer Anerkennungsquote von mehr als 20 Prozent kommen.

    Der CDU-Generalsekretär Mario Czaja fordert unterdessen bereits noch weitere Verschärfungen: So soll die Bundesregierung die Ausweitung der Definition sicherer Drittstaaten umsetzen, um die Möglichkeit zu bekommen, noch mehr Menschen abschieben zu können.

    Arbeitskräfte statt Flüchtlinge?

    Während es Flüchtlingen immer unmöglicher gemacht werden soll, überhaupt in die EU oder gar nach Deutschland zu kommen, versucht die Bundesregierung händeringend, ausgebildete Arbeitskräfte im Ausland anzuwerben, welche die besonders schlecht bezahlten und anstrengenden Jobs in Deutschland erledigen sollen.

    Die Arbeitskräfte sollen vor allem für die Bereiche der Pflege und hier der 24-Stunden-Pflege und weiteren medizinischen Berufen, sowie im Bereich der Erntehelfer:innen angeworben werden. Dazu bereisten vor kurzem Außenministerin Annalena Baerbock und Arbeitsminister Hubertus Heil Brasilien. Hier wollen sie im Rahmen einer „fairen Einwanderung“ in Deutschland verzweifelt gesuchte Arbeitskräfte gewinnen. Die Migration von Arbeitskräften wird also solange benötigt, wie sie sich gut vermarkten lassen, die Profite deutscher Konzerne erhöhen und die deutsche Gesundheitsversorgung am Laufen halten.

    Widerstand gegen die EU Pläne

    Auch wenn es in der Bundesregierung große Einigkeit zu dem Vorhaben der weiteren Abschaffung des Rechts auf Asyl gibt und SPD, Grüne und FDP mit diesem Vorhaben die Forderungen faschistischer Kräfte wie der AfD umsetzen, gibt es breiten Widerspruch gegen das Vorhaben.

    So veröffentlichten 50 Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen eine gemeinsame Erklärung gegen die Verschärfungen. Unter dem Titel „Das Recht auf Schutz darf nicht abgeschafft werden – Dem rechten Diskurs mit einer Politik der Menschenrechte entgegentreten“ protestieren zudem 800 Jurist:innen mit einem offenen Brief gegen die Vorhaben der Bundesregierung, denn die zunehmende Abschottung Europas werde nicht zu weniger Flucht führen, sondern nur zu mehr Leid und Tod an den Außengrenzen der EU. Dass diese Reaktionen die Pläne der EU nicht aufhalten werden, scheint klar. Wichtiger sind da schon die zahlreichen Demonstrationen, die bereits gegen die Beschlüsse der EU-Innenminister:innen stattgefunden haben. Hier zeigten tausende Menschen, dass sie diese menschenverachtende Politik der militärischen Abschottung der Festung Europa nicht mittragen.

    In trockenen Tüchern ist die Reform des Asylrechts zudem noch nicht, die EU-Länder müssen die Pläne noch im Europaparlament verabschieden. Die Bundesregierung drängt auf einen Abschluss der Asylreform bis zur Europawahl im Juni 2024, damit die Reform nach den Wahlen nicht neu verhandelt werden muss.

     

    • Autor bei Perspektive seit 2017 und Teil der Print-Redaktion. Freier Autor u.a. bei „Junge Welt“ und „Neues Deutschland“

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