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Samstag, April 27, 2024
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    Internationaler Friedensgipfel: Wir können nicht auf die „Vernunft“ der Imperialisten hoffen

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    Mitte Juni trafen sich Pazifist:innen zum „International Summit for Peace“ in Wien. Hier wird ein Konzept zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine aufgestellt. Was ist da dran? – Ein Kommentar von Gillian Norman

    Vom 10. bis 11. Juni fand der „International Summit for Peace“ in Wien statt. An dem vom “International Peace Bureau” organisierten Gipfel nahmen auch bekannte Vertreter der pazifistischen Bewegung wie der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky und der US-Ökonom Jeffrey Sachs teil. Der Österreichische Gewerkschaftsbund wollte eigentlich seine Räumlichkeiten für die Veranstaltung bereitstellen, zog seine Unterstützung nach Kritik durch den ukrainischen Botschafter aber zwei Tage vorher zurück.

    Stattfinden konnte der Gipfel trotzdem, und die 600 Anwesenden diskutierten unter anderem eine Reihe von Forderungen, die sowohl an Russland als auch an die NATO-Staaten gerichtet sind. Nach ihren Vorstellungen sollen die UN diesen Prozess anleiten und überwachen. Die allgemeine Richtung der Forderungen ist klar: Die Kriegsparteien sollen am Verhandlungstisch schnellstmöglich einen Waffenstillstand aushandeln, um das Sterben von ukrainischen und russischen Soldat:innen zu beenden und einen möglichen Atomkrieg abzuwenden.

    Forderungskatalog des „Friedensgipfels“

    Für Verhandlungen sei eine große Kompromissbereitschaft von beiden Seiten notwendig. So müsste die Ukraine eine NATO-Mitgliedschaft ausschließen, während ein EU-Beitritt aber weiterhin möglich sein könnte. Auch die allgemeine NATO-Osterweiterung soll gestoppt werden und die Grenzregion demilitarisiert werden.

    Die zurzeit von Russland besetzten Regionen Luhansk und Donezk sollen unter UN-Verwaltung gestellt werden und eine Abstimmung in 5 Jahren vorbereitet werden. Dann dürfen die Einwohner:innen selbst abstimmen, ob sie zur Ukraine gehören, einen eigenen Nationalstaat gründen oder sich Russland anschließen wollen.

    Sowohl die EU als auch Russland müssten sich an der Finanzierung des Wiederaufbaus beteiligen, wobei „ein Ausverkauf an internationale (Agrar-) Konzerne“ ausgeschlossen werden soll. Der Abzug der russischen Truppen kann nur im Zusammenhang mit den anderen Forderungen umgesetzt werden und in diesem Zug sollen auch die Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden.

    Langfristig sollen eine neue europäische Charta zur gemeinsamen Sicherheit ausgearbeitet und umgesetzt werden, sowie Verhandlungen zwischen Russland und den USA zu atomarer Abrüstung stattfinden.

    Strategische Änderungen der NATO stehen wohl bevor

    Einige Aspekte, die in diesem Forderungskatalog angesprochen werden, stellen eine eher konträre Position zu den aktuell dominierenden Stimmen in der Diskussion um die westliche Strategie im Ukraine-Krieg dar. Selenskyj und auch viele deutsche Politiker:innen lehnen – zumindest zurzeit noch – einen wirklichen Verhandlungsstart ab, solange die russischen Truppen nicht vollständig abgezogen sind.

    Doch US-amerikanische Think-Tanks, die das Militär beraten, halten mittlerweile eine Änderung der Strategie für notwendig. Der US-Sicherheitsexperte Charles Kupchan sagte vor kurzem in einem Interview mit dem Handelsblatt: „Jeder will der Gegenoffensive eine Chance geben. Aber in den kommenden Monaten wird mehr und mehr die Haltung in den Vordergrund rücken: Das ist kein Krieg, der Jahre andauern sollte. Wir müssen einen Weg finden, das Töten zu beenden“.

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    Einige seiner strategischen Positionen decken sich dabei mit den Forderungen der Pazifist:innen. So sei eine direkte Wiederherstellung der territorialen Souveränität der Ukraine wohl nicht möglich, sondern ein langfristiges Projekt.

    Was die USA bzw. NATO letztendlich zur Strategieänderung bewegt sind allerdings nicht die unzähligen Toten selbst, sondern die Frage bis wann die Unterstützung profitabel genug ist. „Bei der Bereitstellung von Munition, Luftabwehr oder Panzern stoßen wir an Grenzen, obwohl wir auf höchstem Niveau produzieren“, verriet der US-Stratege. Denn der Krieg in der Ukraine steht einer Fokussierung auf den Konflikt mit dem Konkurrenten China im Weg. Und auch die durch die unterbrochenen Produktionsketten hervorgerufene Verarmung der Arbeiter:innen besonders in afrikanischen Staaten ist den USA ein Dorn im Auge. Der Krieg verursache „globale Störungen, Energie- und Nahrungsmittelknappheit und Unruhen in Teilen der Dritten Welt“ und „polarisiert das internationale System“, so Kupchan.

    Keiner Seite geht es um die Arbeiter:innen – sondern um Profite

    Aber nicht nur den USA geht es in diesem Krieg um die eigenen wirtschaftlichen Interessen. Auch die EU und damit ihre führenden Mitglieder wie Deutschland und Frankreich haben ein großes Interesse daran, ihren Einfluss in Osteuropa zu erweitern. Und dass die EU keine tollen Freiheiten für die ukrainischen Arbeiter:innen bringen wird, sondern nur gute Bedingungen für die deutschen Konzerne zur Kapitalanlage bietet, können unter anderem auch die Arbeiter:innen in Südeuropa wie etwa Griechenland bestätigen. So werden die griechische Wirtschaft und die Lebensbedingungen der Arbeiter:innen durch die Spardiktate, die unter Ex-Finanzminister Schäuble eingeführt wurden, nieder gehalten, während deutsche Konzerne wie die Deutsche Telekom, SAP, Siemens und viele kleinere Unternehmen profitable Geschäfte machen.

    Osteuropa ist außerdem das wichtigste Einflussgebiet des deutschen Imperialismus. Aus Ländern wie Rumänien kommen beispielsweise günstige Arbeitskräfte zur Saisonarbeit nach Deutschland, und im ehemaligen Jugoslawien wird der Einfluss über Rohstoffe aufrechterhalten. An besseren Lebensbedingungen der Arbeiter:innen vor Ort hat Deutschland also sicherlich kein Interesse, denn es würde die Ausbeutungsmöglichkeiten stark einschränken. So wird in Bosnien-Herzegowina sogar ein CSU-Politiker eingesetzt, der in einem ungewählten Amt Gesetze beschließen und bosnische Politiker:innen absetzen kann.

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    Als Vorwand, um militärische Interventionen zu begründen, wird oft die “Wahrung von Menschenrechten” genommen. Auch Russland tut dies in der Ukraine und nimmt den Schutz der russischen Menschen in der Ost-Ukraine als Rechtfertigungsgrund für seine Invasion. Dabei geht es ihnen letztendlich auch nur um wirtschaftliche und geostrategische Interessen. Besonders wichtig sind für Russland beispielsweise der Zugang zum Schwarzen Meer über die Ost-Ukraine und die Halbinsel Krim.

    Deutschland bereitet die wirtschaftliche Abhängigkeit schon jetzt mit den großen Mengen an Waffenlieferungen vor, die lediglich Kredite sind und früher oder später zurückgezahlt werden sollen – was für die Ukraine wohl kaum möglich sein wird. Somit werden Deutschland alle Türen offen stehen, ausbeuterische Knebelverträge zu schließen und im Wiederaufbau der Ukraine große Mengen an Kapital gewinnbringend anlegen zu können.

    Was klar ist, ist dass weder Russland, noch Deutschland und die USA ihre Handlungen in diesem Krieg daran messen, ob es viele Tote gibt oder noch geben wird.

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    Die Stellung des deutschen Kapitals muss bekämpft werden

    Obwohl es innerhalb der pazifistischen Bewegung die Einsicht gibt, dass beispielsweise die NATO-Osterweiterung oder ungerechte Handelsbedingungen der Konzerne ein Problem darstellen, das auch zu diesem Krieg beigetragen hat, wird doch sehr wenig über die zugrundeliegende Ursache von imperialistischen Kriegen gesprochen.

    Denn Entwicklungen wie die NATO-Osterweiterung oder der Versuch, Kapital im Ausland gewinnbringend anzulegen, sind keine historischen Zufälle, sondern bestätigen die gesetzmäßige Tendenz im Kapitalismus. Die Konkurrenz zwischen verschiedenen Staaten führt immer wieder dazu, dass die Politik zur Verteidigung der wirtschaftlichen Interessen am Ende auch mit militärischer Gewalt durchgesetzt wird.

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    Diese Gesetzmäßigkeiten aufzuzeigen und Forderungen zur Beseitigung der Ursachen aufzustellen, fehlt bei den Pazifist:innen aber vollständig. So wird darauf vertraut, dass die UN und auch der deutsche, US-amerikanische und russische Staat zur „Vernunft“ kommen und das Sterben beenden.

    Für uns muss aber vor allem eins aus den Gesetzmäßigkeiten folgen: Heute, morgen und auch in der weiteren Zukunft wird der deutsche Staat, der für die deutschen Konzerne die Möglichkeiten zur Ausbeutung aufrecht erhält, immer unser Gegner sein.

    Denn dort, wo wir mit unserer politischen Arbeit Veränderungen bewirken können, ist nun einmal hauptsächlich in unserem eigenen Land. Und besonders dann, wenn dieses Land selbst zu einem der mächtigsten Imperialisten zählt, müssen wir genau dort ansetzen.

    • Schreibt seit 2022 für Perspektive und ist seit Ende 2023 Teil der Redaktion. Studiert Grundschullehramt in Baden-Württemberg und geht früh morgens gerne eine Runde laufen.

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