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Montag, April 29, 2024
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    Letzte Generation mit Klima-Protesten im ganzen Land – wie “rechtsstaatlich” geht der Staat vor?

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    Seit geraumer Zeit wird die Klimabewegung „Letzte Generation“ für ihre Protestaktionen nicht nur medial als „terroristisch“ und „kriminell“ bezeichnet, sondern für ihren Aktivismus auch mit hohen Strafen belegt. Nun wurde in Berlin erstmals versucht, ein Mitglied der Organisation in einem Schnellverfahren abzuurteilen. Dies scheiterte noch an der mangelnden Beweislage. Was sich aber immer deutlicher abzeichnet, ist die öffentliche Untergrabung der hochgepriesenen „Rechtsstaatlichkeit“ durch politisch motivierte und politisch geführte Strafverfahren. – Ein Kommentar von Phillipp Nazarenko

    Die „Letzte Generation“ ist seit fast einem Jahr regelmäßig Gegenstand politischer Diskussionen. Ob positiv oder negativ – die Organisation hat es geschafft, von sich reden zu machen. Die Aktionen der Aktivist:innen beschränken sich für gewöhnlich auf Formen des zivilen Ungehorsams, mit denen sie gewaltfrei Blockadeaktionen auf Straßen oder neuerdings auch an Flughäfen durchführen. Erst am Freitag kam es erneut zu Aktionen in ganz Deutschland.

    Der ethische Verhaltenskodex der „Letzten Generation“ verbietet jede Gegenwehr gegen Übergriffe von Dritten, und diese gibt es zunehmend reichlich: So fuhr beispielsweise ein LKW-Fahrer in Stralsund mit seinem Wagen quer durch eine solche Straßenblockade und schleifte dabei einen Aktivisten willkürlich mit. Auch andere physische und verbale Angriffe scheinen vermehrt an der Tagesordnung zu sein.

    In Berlin ist erst kürzlich ein Schnellverfahren gegen einen LG-Aktivisten gescheitert, das zuvor der CDU-Bürgermeister Wegner gefordert hatte.

    Dass die Strategie der letzten Generation kaum dafür geeignet ist, einen Zusammenschluss der Arbeiter:innen herbeizuführen, damit sie sich gemeinsam gegen das zerstörerische kapitalistische System richten, ist bereits bei Perspektive dargelegt worden.

    Zugleich lässt sich daran, wie der bürgerliche Staat in Deutschland zunehmend auch mit harmlosen Klimaaktivist:innen umgeht, ansehnlich aufzeigen, wie realitätsfern der bürgerliche Mythos vom „Rechtsstaat“ tatsächlich ist.

    Repression gegen Letzte Generation: Warum man ihre Aktionsformen kritisieren kann und trotzdem solidarisch sein sollte

    Harmlose „Klimakleber“ oder „terroristische Klima-RAF“?

    Die mediale Kulisse, welche die zunehmende staatliche Repression gegenüber der „Letzten Generation“ begleitet, spielt eine wesentliche Rolle beim Anheizen einer pogrom-ähnlichen Stimmung gegen die Klimaaktivist:innen. Das mag hart klingen, trifft den Nagel aber auf den Kopf.

    Wenn Zeitungen wie die BILD wohlwollend und verständnisvoll über die Angriffe auf die Aktivist:innen und die Polizeigewalt berichten, und Politiker:innen gar ein „härteres Durchgreifen“ fordern, dann ist das Meinungsmache. Diese legitimiert Angriffe durch den Staat und Dritte systematisch und bereitet sie ideologisch vor.

    Noch ist bei den Angriffen auf die „Letzte Generation“ kein:e Aktivist:in getötet worden. Doch auch schon als 1968 der linke Aktivist Rudi Dutschke von einem NPD-Kader angeschossen wurde (er starb an den Spätfolgen des Attentats), sprachen viele Menschen in der BRD davon, „die BILD habe mitgeschossen“.

    So wurde von der Tageszeitung des rechten Medienmoguls Axel Springer auch damals eine systematische Hetze gegen Aktivist:innen und die politische Linke in der Bundesrepublik betrieben, die der Attentäter auch klar als seine Inspiration benannte.

    Gegen Klima und Antifaschismus

    Ob eine solche Eskalation der Ereignisse sich im Fall der „Letzten Generation“ wiederholen wird, bleibt abzuwarten. Auszuschließen ist es nicht. Der mediale Rufmord und das Aufhetzen der Massen gegen Aktivist:innen (vor allem gegen die revolutionären Linken) durch die private Presse und durch bürgerliche Berufspolitiker:innen ist in der BRD an der Tagesordnung.

    Auch im Falle Lina E. („Antifa-Ost-Verfahren“) lässt sich ein ähnliches Bild zeichnen. Der von legitime, wenn auch nicht immer effektive, Widerstand gegen das kapitalistische System wird nur zu gerne als vermeintlicher „Terrorismus“ oder „Kriminalität“ gebrandmarkt. So laufen gerade die Untersuchungen, die der „Letzten Generation“ nach §129 die “Bildung einer kriminellen Vereinigung” nachweisen sollen. Auch als „Klima-RAF“ wurde sie schon betitelt.

    Tatsächlich geht der Stadt mit dem Paragraphen vor, mit dem er schon die Stadtguerilla in den 1970er Jahren kriminalisierte. Die damals verhängten Notstandsgesetze sind durchaus dazu geeignet, auch heute wieder zur Aufstandsbekämpfung aus der Schublade geholt zu werden, sollte es wieder zu einer kämpferischen Stimmung unter den Massen kommen wie 1968.

    § 129 – Kriminalisierung von linkem Widerstand, auch im Fall von Lina E. und der „Letzten Generation“

    „Rechtsstaat“ oder rechter Staat?

    Der sogenannte „Rechtsstaat“ ist neben der ach so „sozialen“ Marktwirtschaft eine der zentralen Lebenslügen bzw. Mythen des deutschen Kapitalismus und seiner Apologet:innen. Wie der Fall Lina E. zeigt, braucht es bei Antifaschist:innen nicht einmal Beweise für eine tatsächliche Beteiligung an Straftaten, um verurteilt und weggesperrt zu werden.

    Das inszenierte Repressionstheater gegenüber der „Letzten Generation“, das diese als „kriminelle Vereinigung“ in die Nähe von Gangs oder der Mafia stellt, straft diesen Staat Lügen, wenn er davon spricht, die demokratischen Rechte der Bevölkerung zu garantieren.

    Was hat es mit vermeintlicher „Rechtsstaatlichkeit“ zu tun, wenn Menschen, die auf die Folgen der Klimakatastrophe und der Umweltzerstörung und die sich daraus ergebende Handlungsnotwendigkeit hinweisen, von der Polizei verprügelt oder im schlimmsten Falle eingeknastet werden? Was hat es mit “Rechtsstaatlichkeit” zu tun, wenn ein Staat gnädig bereit ist wegzuschauen, wenn VW oder andere Monopolkonzerne ihre Abgaszahlen manipulieren, dann aber scheinheilig den Umweltschutz predigt?

    Hierbei darf man nicht vergessen, dass es gerade unter einer Regierung aus sich sonst so umwelt- und klimabewusst gebenden Grünen, aber auch SPD und FDP zu dieser massiven Verschärfung der Repression gegen die Klimabewegung kommt.

    Auch die brutale und gewaltsame Auflösung des Protestcamps in Lützerath Anfang des Jahres fällt in die selbe Rubrik. Die Aufzählung von Repressionen und Angriffen des deutschen Staats auf Menschen und Organisationen, die Widerstand gegen das kapitalistische System und seine Konzerninteressen leisten, könnte hier ewig weitergehen.

    Wichtig ist festzuhalten, dass „Rechtsstaatlichkeit“ nichts weiter ist als ein Propagandabegriff des deutschen Staats. Das, was er tut – ob es das Niederknüppeln von Demonstrant:innen oder das sich immer wiederholende Ignorieren seiner sowieso schon kümmerlichen eigenen Umweltauflagen betrifft – wird versucht, als unser aller Interesse, als Interesse einer „wehrhaften Demokratie“ darzustellen. Wehrhaft ist hierzulande aber nur eins: und zwar sind es die Interessenvertreter:innen der Kapitalist:innen und ihrer Monopolkonzerne. Und ganz vorne mit dabei: der Unrechtsstaat BRD.

    Vom „Rechtsstaat“ zum Rechten Staat

    • Sächsischer Perspektiveautor seit 2022 mit slawisch-jüdischem Migrationshintergrund. Geopolitik, deutsche Geschichte und der palästinensische Befreiungskampf Schwerpunkte, der Mops das Lieblingstier.

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