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Sonntag, April 28, 2024
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    Juncker über Ukraine: „auf allen gesellschaftlichen Ebenen korrupt“

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    Bundesaußenministerin Annalena Baerbock fordert, dass die EU schnell von “Lissabon bis Luhansk” – also von Portugal bis zum äußeren Osten der Ukraine – reichen soll. Der Ex-EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker äußert sich jedoch über die Ukraine als „nicht beitrittsfähig“. Das Land sei „auf allen gesellschaftlichen Ebenen korrupt“. Tatsächlich ist ein EU-Beitritt noch aus anderen Gründen unwahrscheinlich.

    Die EU-Kommission ist das oberste Gremium der Europäischen Union. Nun hat sich dessen ehemaliger Chef, Jean-Claude Juncker, gegen die baldige Aufnahme der Ukraine in die EU ausgesprochen. In einem Interview mit der Augsburger Allgemeine am Freitag warnte er vor „falschen Versprechungen“ diesbezüglich. Die Verbreitung solcher Hoffnungen seien „weder gut für die EU noch für die Ukraine“. Er hielt sich nicht zurück mit seinem Ärger über solche optimistischen Mutmaßungen, die auch der Ukraine gegenüber nicht fair seien.

    Ukraine ist zu „korrupt“

    Als einen Grund für seine ablehnende Haltung bezüglich eines schnellen EU-Beitritts spricht Juncker von der Ukraine als einem „Land, das auf allen gesellschaftlichen Ebenen korrupt“ sei. Demnach sollten seiner Meinung nach keine voreiligen Entscheidungen fallen, da die Ukraine derzeitig „trotz Anstrengungen“ nicht die notwendigen Voraussetzungen für einen Beitritt in die Europäische Union erfülle.

    Es habe nach Aussage des ehemaligen EU-Kommissionschefs in der Vergangenheit bei der Aufnahme junger EU-Mitgliedsstaaten immer wieder Probleme gegeben, wie etwa mit deren „Rechtsstaatlichkeit“. Ein Risiko, das nicht voreilig eingegangen werden solle, sieht Juncker dahingehend auch bei der Ukraine. Solche Fälle seien „nicht noch einmal zu wiederholen“. Bevor die Aufnahme der Ukraine in Sicht wäre, gäbe es eine Vielzahl an Reformen, die das Land bewerkstelligen müsse.

    „Teilweiser Beitritt“ als Übergangslösung

    Obwohl Jean-Claude Juncker sich gegen eine baldige Erweiterung der EU durch die Ukraine positioniert, stellt er die Möglichkeit einer Art „Teilbeitritt“ in den Raum. Im Falle einer positiven Entwicklung der Ukraine wie auch von Moldau und der Erreichung von Fortschritten sei eine „intelligente Form der Fast-Erweiterung“ seines Erachtens nach eine Option.

    Eine genauere Definition einer solchen teilweisen Mitgliedschaft wurde nicht ausgeführt, es solle aber allgemein eine Art ‘zweite Ebene’ der EU-Mitgliedschaft geschaffen werden, die Länder teilweise integriert. Weiterhin merkte Juncker an, dass eine generelle „europäische Perspektive“ für die Ukraine beibehalten werden sollte, diese jedoch einen längeren Weg vor sich habe.

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    Baerbock optimistisch gegenüber Ukraine

    Die deutsche Außenministern Annalena Baerbock sprach derweil vor einigen Tagen während eines Besuchs der EU-Außenminister:innen sehr zuversichtlich über eine nahe Zukunft der Ukraine als Mitglied der Europäischen Union. Pompös gab sie die Marschrichtung vor: die EU solle von „Lissabon bis Luhansk“ reichen. Luhansk liegt im äußeren Osten der Ukraine und ist schon seit Jahren fest in russischer Hand. Baerbock unterstreicht damit ihre Linie, dass die Ukraine die russische Armee vollständig aus diesen Gebieten zurückdrängen müsse.

    Zudem forderte die deutsche Außenministerin eine fortgesetzte militärische Unterstützung der Ukraine – unter anderem durch einen “Winterschutzschirm”, bei dem auch die Luftverteidigung eine Rolle spielen solle. Sie betonte, dass man der Ukraine auf dem Weg in die Europäische Union „entschlossen unter die Arme greifen“ werde und die Ausweitung der EU eine klare Konsequenz aus dem Krieg mit Russland sei. Auch in der EU sollten ihrer Meinung nach Veränderungen stattfinden, sodass die Ukraine aufgenommen werden könne.

    Ukraine habe sich laut Baerbock gut entwickelt

    In Bezug auf das Thema der Korruption in der Ukraine hob Baerbock die positive Entwicklung des Landes hervor. Es habe in den vergangenen Jahren “viele Schritte” getan und diesem Problem entgegengewirkt. Auch den Weg der – von Juncker angesprochenen – notwendigen inneren Reformen sei die Ukraine ihr zufolge in den letzten Jahren „in beeindruckender Art und Weise“ gegangen. Unter anderem für die Reform im Bereich der Justiz und der Mediengesetzgebung sprach Baerbock dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj ihr Lob aus.

    Konkret scheint es sich bei den jüngsten Anti-Korruptions-Vorgängen um Machtkämpfe innerhalb der ukrainischen Elite zu handeln. So wurde Anfang September der ukrainische Milliardär mit zypriotisch-israelischem Pass, Ihor Kolomojskyj, festgenommen. Dieser hatte 2021 noch dafür gesorgt, dass Selenskyj Präsident der Ukraine wurde. Z.B. nutzte Selenskyjs Stab im Wahlkampf Sicherheitsleute und Fahrzeuge des Oligarchen. Ständig traten er und Selenskyj mit  Andrij Bohdan, einem der Kolomojsky-Anwälte und Berater auf. Nun ist er offenbar in Ungnade gefallen, laut SPIEGEL erklärte der ukrainische Sicherheitsdienst SBU, Kolomojskyj werde des Betrugs, der Geldwäsche und der illegalen Beschaffung von Eigentum verdächtigt.

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    EU-Beitritt vor Kriegsende unwahrscheinlich

    Was in der öffentlichen Debatte über den EU-Beitritt oftmals untergeht, ist, dass ein Ukraine-Beitritt während des Kriegs die Europäische Union mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Kriegspartei machen dürfte.

    Im Jahr 2009 nahm die EU nämlich eine Beistandsklausel in ihre Verträge auf, die besagte, dass im Falle „eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats“ die anderen Mitgliedstaaten ihm „alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung“ schulden.

    Dies stehe im Einklang mit den „im Rahmen der Nordatlantikvertrags-Organisation eingegangenen Verpflichtungen“, die für die ihr angehörenden Staaten weiterhin das „Fundament ihrer kollektiven Verteidigung und das Instrument für deren Verwirklichung ist“. Die EU erhielt damit ihren eigenen Artikel analog zum “Artikel 5” der NATO – also der Beistandspflicht im Bündnisfall.

    Solange also kein Konsens über einen direkten Kriegsbeitritt oder zumindest eine Ausweitung der Eskalation in der Ukraine herrscht, dürfte ein Beitritt während der heißen Phase des Krieges unwahrscheinlich sein.

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