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Dienstag, April 30, 2024
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    Antisemitismus beim Klimastreik? – Wie deutsche Medien Hetze betreiben

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    Am 20. Oktober veröffentlichte Klimaaktivistin Greta Thunberg ein Bild auf „X“, auf dem sie ihre Solidarität mit Palästina kundtat. Die „Fridays for Future“–Initiatorin wird seitdem von den deutschen Medien als antisemitisch abgestempelt. Doch nicht nur das, auch der deutsche Ableger von „Fridays for Future“ distanziert sich. – Ein Kommentar von Herbert Scholle

    Bis vor kurzem dürfte die 20-jährige Schwedin in Deutschland wohl vor allem dafür bekannt gewesen sein, die „Fridays For Future“–Bewegung (FFF) losgetreten zu haben. Das hat sich inzwischen geändert: Wenn man in die Nachrichten schaut, wird man förmlich überschwemmt mit Meldungen, die sie als Antisemitin betiteln oder dies zumindest nahelegen.

    Der Auslöser für diese Vorfälle war ein Foto, das Thunberg auf „X“ (ehemals Twitter) postete. Auf diesem war sie mit drei weiteren Personen zu sehen, alle hielten Schilder mit Aufschriften wie „Stand with Gaza“, „Free Palestine“ und „This Jew stands with Palestine“. Später teilte sie auch einen Aufruf der pro-palästinensischen Organisation „Palästina Spricht“, in dem zu einem globalen Streik „gegen den Genozid in Gaza“ aufgerufen wird.

    Für beide Posts wurde sie insbesondere hier in Deutschland schärfstens kritisiert. Eine Reihe wichtiger Politiker:innen gab sich empört über Thunbergs Aussagen, unter ihnen auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, sagte gegenüber der katholischen Nachrichtenagentur KNA sogar, Thunberg habe sich mit ihren Haltungen „als Vorbild für die Jugend disqualifiziert”. Auch FFF Deutschland hat die Aussagen kritisiert und sich distanziert.

    Was ist denn jetzt genau die Kritik?

    Den wohl lautesten Aufschrei hat der internationale Instagram-Account der FFF-Bewegung hervorgerufen. Dieser postete nämlich eine Story, in welcher der israelische Staat und die Berichterstattung in den „westlichen Medien“ heftig kritisiert wurden. Nicht nur wurde Israels Politik und Kriegsführung gegenüber Palästinenser:innen klar als Genozid betitelt, FFF bezichtigte Israel ebenfalls des Siedlerkolonialismus und der Apartheid. Auch der Titel „This is how western media brainwashes you into standing with Israel“ (deutsch: So manipulieren dich die westlichen Medien, damit du Israel unterstützt) sorgte für großes Aufsehen.

    Doch egal um welchen konkreten Kritikpunkt es geht, eines fällt schnell auf: Eigentlich wird nie so wirklich erklärt, warum genau die Aussagen von FFF bzw. Thunberg denn jetzt antisemitisch seien. Stattdessen wird dies als Grundannahme vorausgesetzt. Die deutschen Medien setzen hier also fort, was sie bereits seit dem Ausbruch des Krieges tun: nämlich jede:n, der nicht zu 100 Prozent auf der Seite des israelischen Staates steht oder es sogar wagt, sich solidarisch gegenüber Palästina auszusprechen, als Antisemit:in zu brandmarken. Die historische Schuld Deutschlands wird wie immer als Totschlagargument vorgeschoben … Doch wäre es nicht viel eher eine sinnvolle Aufklärungsarbeit, kritische Aussagen genauestens zu analysieren und zu verstehen, anstatt sie pauschal als antisemitisch abzutun?

    Wie reagiert FFF Deutschland?

    Besonders interessant ist natürlich die Reaktion des deutschen Ablegers von Fridays For Future. Die Grünen-Politikerin Luisa Neubauer führt ihn seit geraumer Zeit de-facto an, beziehungsweise präsentiert sich zumindest so.

    Sowohl über „X“ als auch in einer offiziellen Pressemitteilung hat sich FFF Deutschland bereits zu Israel bekannt und sich von der internationalen Bewegung distanziert. Am 30. Oktober veröffentlichte die Zeit zudem ein sehr ausführliches Interview mit Luisa Neubauer, wobei es um eben dieses Thema geht. Hierbei reiht sich Neubauer in die Strategie der deutschen Medien ein, indem sie Thunberg und Teile der FFF-Bewegung als antisemitisch bezeichnet, ohne den Grund dafür näher zu erläutern.

    An einer Stelle sagt sie sogar: „Wenn jemand darüber schreibt, dass die Medien Menschen manipulieren, damit sie auf der Seite von Israel stehen, dann brauche ich auch keinen Experten, um die antisemitischen Narrative darin zu sehen”. Interessant ist hieran vor allem, dass es auch unter Aktivist:innen innerhalb des deutschen FFF-Ablegers nicht unüblich ist, Medien zu kritisieren oder ihnen den Vorwurf der Manipulation entgegenzuwerfen, wenn es um Beiträge zur Klimadebatte geht. Also ist der reine Vorwurf der Manipulation scheinbar kein Problem für Neubauer, sondern lediglich, dass es der israelische Staat ist, der kritisiert wird. Hier wird Kritik am israelischen Staat also einmal mehr mit Antisemitismus gleichgestellt.

    Im gesamten Interview wird nicht nur deutlich, dass sich FFF Deutschland vom Rest der Bewegung distanziert, sondern auch in welche Richtung. Neubauer kritisiert Thunberg und Co. nämlich ganz eindeutig von rechts. Unter anderem spricht sie davon, dass „selbst die Intersektionalität an Grenzen kommen kann. Und zwar dort, wo auf der Suche nach dem größten Leid Leidenshierarchien aufgemacht und kaum Widersprüche zugelassen werden“. Das klingt schon fast nach der Rhetorik von „Opression Olympics“ (deutsch Unterdrückungsolympiaden), also der Argumentation, dass es Linken nur darum ginge, auf der Seite der „am meisten unterdrückten“ Gruppe zu sein, anstatt wirklich etwas ändern zu wollen. Diese Sprachwahl ist besonders in den USA, aber auch hierzulande, sehr beliebt bei reaktionären bis hin zu faschistischen Kräften.

    Des Weiteren teilt Neubauer im Interview mit, dass man sich derzeit noch unsicher sei, ob man weiterhin mit der internationalen FFF-Bewegung zusammenarbeite, man „[überprüfe] erst mal, ob es aktuell ein geteiltes Wertefundament gibt, mit dem man noch arbeiten kann”.

    Dass FFF als Bewegung schon längst keinen kämpferischen Charakter mehr hat, ist offensichtlich. Doch scheinbar nutzen die deutsche Politik im Allgemeinen und Luisa Neubauer im Speziellen den Krieg in Palästina als Anlass, um den deutschen Ableger nun zu einem vollkommenen Anhängsel der deutschen Regierung zu machen.

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