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Montag, April 29, 2024
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    Neuer Repressionskatalog von SPD, Grüne und FDP: Die Antwort der bürgerlichen Parteien auf die Palästinafrage

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    Die Widersprüche werden für die deutschen Kapitalist:innen immer größer. So notwendig gute Beziehungen zu Israel für den neuen deutschen Imperialismus sind, so gilt es für sie derzeit gleichzeitig einen Krieg im Nahen Osten ebenso zu verhindern wie eine starke Palästina-Bewegung in Deutschland. Die Lösung ihrer bürgerlichen Politik: Die israelische Bourgeoisie unterstützen und den eigenen Staat immer mehr zum Repressionsorgan umbauen. – Eine Einordnung von Ahmad Al-Balah.

    Als der Bundestag 2019 eine Resolution gegen etwas so Harmloses wie die Bewegung “BDS” (Boycott, Divestment and Sanctions) verabschiedet hat, wurde dies damals noch über Jahre hinweg vom gesellschaftlichen Mainstream kritisch diskutiert. Heute sind wir an einem Punkt angekommen, an dem die herrschenden Kapitalist:innen im Handumdrehen kolossale Veränderungen im deutschen Staat vornehmen können, ohne dass darüber überhaupt diskutiert wird.

    Wie der deutsche Staat den Ruf nach einem freien Palästina kriminalisiert

    Nun haben sich die Regierungskoalition aus SPD, Grüne und FDP am 7. November offiziell entschlossen, den ‘demokratischen’ Rahmen weiter auszudehnen: Ihr sogenannter „Entschließungsantrag“ (Drucksache 20/9149) enthält mehrere Punkte, die zum Teil extreme Repressionen vorantreiben sollen. Entschließungen sind rechtlich nicht verbindlich, geben jedoch die politische Richtung vor – gerade wenn wie hier alle Regierungsfraktionen sie unterschreiben.

    Bei der Interpretation der Entschlüsse der deutschen Parteien ist wichtig zu beachten, dass hier die “IHRA”-Definition angewandt wird, der zufolge auch eine einfache Kritik am Staat Israel als „antisemitisch“ gewertet werden kann. Im Entschluss Nr. 42 wird darüber hinaus festgehalten, dass die „Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA)“ zudem für Förder- und Vergabeentscheidungen sowie die Ausbildung und Arbeit der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden des Bundes zugrunde gelegt werden soll.

    Der Repressionskatalog

    Aus den politischen Entschlüssen geht zunächst ganz klar eine weitere Kriminalisierung aller Organisation und Aktionen hervor, die den palästinensischen Freiheitskampf in Deutschland nennenswert voranbringen könnten. So will die Regierung „Solidarisierungsbekundungen“ und Taten mit „antiisraelischem Hintergrund“  entschlossen unterbinden und rechtsstaatlich verfolgen (Nr. 5). Auch ein Betätigungsverbot oder ein Organisationsverbot von BDS in Deutschland soll geprüft werden (Nr. 22).

    Juristisch soll beispielsweise das Straf- und Versammlungsrecht verschärft werden, sodass Polizei- und Strafverfolgungsbehörden „ausreichende Mittel und Möglichkeiten“ zur Verfügung stehen, um Taten „mit Bezug zu Antisemitismus“ (gemäß ihrer Definition) zu bekämpfen und „Versammlungen zu untersagen.“ Insbesondere der Tatbestand der Volksverhetzung in § 130 StGB sei „auf eine Schließung von Strafbarkeitslücken“ hin zu überprüfen (Nr. 14).

    Deutsche Strafverfolgungsbehörden und Gerichte sollen „antisemitische Stereotypen und verschiedene Chiffren und Codes“ (gemäß ihrer Definition) vorgelegt bekommen, was praktisch bedeutet, dass die Exekutive der Judikative die Auslegung von Dingen vorgibt, damit diese in ihrem Sinne urteilt (Nr. 19).

    Ganz praktisch heißt das: Ausländische Personen, die Organisation wie „Samidoun“ unterstützen oder die „antisemitische Straftaten begehen“ (gemäß o.g. Definition) sollen dabei „konsequent“ abgeschoben werden (Nr. 15). Wo eine Ausweisung nicht möglich ist, soll „von den aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen wie dem Ausschluss einer Aufenthaltsverfestigung, dem Ausschluss des Familiennachzugs, der Wohnsitzauflage und dem Arbeitsverbot und dem verminderten Leistungsbezug „möglichst umfassend“ Gebrauch gemacht werden (Nr. 16).

    Im Zuge dessen soll der Einbürgerungstest bezogen auf die Themen Antisemitismus und jüdisches Leben in Deutschland sowie „auf weitere Fragen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ (wie z.B. das Existenzrecht Israels) die Gesinnung prüfen (Nr. 21).

    Finanziell sollen „Kultureinrichtungen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen oder mit Einrichtungen oder Personen zusammenarbeiten, die das Existenzrecht Israels ablehnen“, keine öffentlichen Gelder mehr erhalten (Nr. 23).

    Die ideologische Repression erfolgt über einen Zwang zur staatskonformen Bildung. Für alle Mitarbeitenden der Ministerien des Bundes sind Bildungsangebote über Antisemitismus (gemäß IHRA-Definition) sowie „über Israel und seine Geschichte“ anzubieten. Der Deutsche Bundestag verpflichtet sich, gleichartige Angebote für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzubieten (Nr. 39).

    Geopolitisch verpflichtet sich die Regierung zudem für Israels Bündnisarbeit in der arabischen Welt und „dabei auch die Abraham-Abkommen weiter zu fördern, zu intensivieren und auszuweiten“ (Nr. 47). Im Austausch dafür soll die strategische und militärische Partnerschaft zwischen der Bundeswehr und den israelischen Streitkräften weiterentwickelt werden (Nr. 51). Dazu zählen gemeinsame Militärmanöver, Rüstungsprojekte, Cyber-Defense mit militärisch relevanten Start Up-Unternehmen, nachrichtendienstlicher Austausch und die gemeinsame Militärausbildung.

    Die Widersprüche überspannen den demokratischen Rahmen

    Denken wir an die Entziehung der Freiheitsrechte zu Corona-Zeiten oder an die massive Aufrüstung mit Beginn des Ukrainekriegs, dann wird deutlich: Die Maßnahmen der herrschenden Klasse, vertreten durch die verschiedenen Parteien, drohen schon lange, den demokratischen Rahmen zu sprengen. Noch dazu wird jeglicher Widerstand dagegen aus den Reihen der Arbeiter:innen durch staatliche Repressionsorgane und bürgerliche Medien niedergeschmettert.

    Mit härteren Strafen gegen abweichende Meinungen?!

    Man könnte fast von einem Scheideweg für die bürgerliche Demokratie sprechen kann,  so stark haben sich die Widersprüche inzwischen entwickelt. Die Herrschenden in Deutschland kommen immer mehr in Erklärungsnot, um die Maßnahmen, die ja nötig sind, um ihren Kapitalismus zu bewahren bzw. voranzutreiben, weiterhin demokratisch zu legitimieren. Die jetzige Antwort auf die Palästinafrage stellt die bröckelnde Fassade der bürgerlichen Demokratie in Deutschland einmal mehr unter Beweis.

    • Ahmad Al-Balah ist Perspektive-Autor seit 2022. Er lebt und schreibt von Berlin aus. Dort arbeitet Ahmad bei einer NGO, hier schreibt er zu Antifaschismus, den Hintergründen von Imperialismus und dem Klassenkampf in Deutschland. Ahmad gilt in Berlin als Fußballtalent - über die Kreisliga ging’s jedoch nie hinaus.

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