`
Sonntag, April 28, 2024
More

    Zapatistas lösen Kommunen und Räte auf: Was steckt dahinter?

    Teilen

    Die im Süden Mexikos seit den 90ern kämpfende und regierende Guerillaorganisation „EZLN“ (Zapatistas) gab nun die Auflösung ihrer institutionellen Strukturen bekannt. Grund dafür seien der militärische Druck der USA, die kapitalistische mexikanische Regierung und kriminelle Drogenkartelle. Wie es nun in dieser Region weiter gehen soll, ist noch unbekannt, doch der Widerstand lebt. – Ein Kommentar von Phillipp Nazarenko

    In der südlichsten Region Mexikos, an der Grenze zu Guatemala, ist die bergige Regenwaldprovinz Chiapas gelegen. Dort begann im Januar 1994 etwas, das vielen Menschen weltweit wieder Mut machte: In den 1990er Jahren, als kapitalistische Ideolog:innen den Niedergang der Sowjetunion zum Vorwand nahmen, das vermeintliche Ende der Geschichte zu predigen, begann sich neuer Widerstand zu regen.

    Die Indigenen Südmexikos begannen damals den bewaffneten Aufstand gegen den – von den USA gestützten – mexikanischen Staat und die Drogenkartelle. Für die sich damals global rapide entwickelnde Antiglobalisierungsbewegung wurden die sogenannten Zapatistas und ihre leitende politische Organisation “EZLN” (Ejército Zapatista de Liberación Nacional), die sogenannte nationale Befreiungsarmee, damit zu einer neuen Quelle der Inspiration und Hoffnung auf eine Welt jenseits des Kapitalismus.

    Das Beispiel der kleinen selbstverwalteten Region (ungefähr ein Drittel der mexikanischen Provinz Chiapas) strahlte in den Rest der Welt aus und motivierte viele, den Kampf gegen den Kapitalismus weiterzuführen. Auch der Frauenkampf stellte einen wichtigen Bestandteil der Zapatistas dar.

    Das Aufbauprojekt der ELZN im Süden Mexikos

    Unter der Führung der EZLN wurden selbstverwaltete Kommunen in Form der „Rebellischen Autonomen Landkreise“ und Räte-Strukturen in Form der „Räte der Guten Regierung“ errichtet. Das kommunale Leben, die Wirtschaft, die Bildung aber auch die Verteidigung des erreichten Fortschritts wurden hier eigenständig organisiert, und der mexikanische Staat verlor die Kontrolle über die Gebiete.

    Ideologisch grenzte sich die EZLN bewusst von revolutionären kommunistischen Parteien und Guerillaorganisationen wie z.B. dem “Sendero Luminoso” (dem Leuchtenden Pfad) in Peru oder der “FARC” (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia), den revolutionären Streitkräften Kolumbiens ab, stets mit dem Anspruch etwas Eigenständiges und Neues zu sein.

    Obgleich regional und global seit den 90ern bekannt, konnte das Projekt bis heute nicht den organisatorischen oder ideologischen Durchbruch erzielen, der nötig gewesen wäre, um zum Erfolg zu führen. Indigene Aufstände gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen und Kultur flammen zwar nach wie vor in vielen Ländern der Welt immer wieder auf, doch orientieren sich diese nur selten direkt am Beispiel der EZLN.

    Noch dazu hatte das durchaus mutige und fortschrittliche Projekt der Zapatistas allerhand Probleme, mit denen es sich konfrontiert sah: Zum einen weitete sich die Rebellion nicht aus: Weder erhob man den Anspruch, den mexikanischen Staat in die Knie zwingen zu wollen, noch versuchte man, die Ausweitung der Rebellion gewaltsam zu erzwingen.

    Zum anderen wären da die schwierigen Kräfteverhältnisse: der kapitalistische mexikanische Staat auf der einen Seite, die kriminell-kapitalistischen Drogenkartelle auf der anderen – und im Hintergrund die imperialistischen USA. Eine ähnliche Stellungslage macht derzeit den Widerstandskräften in Ecuador zu schaffen.

    Den Widerspruch zwischen diesen Akteuren konnten die Zapatistas lange Zeit nutzen. Der mexikanische Staat legte lange Zeit beispielsweise keinen großen Wert auf ihre Bekämpfung . Denn neben seiner sonst brutalen Verfolgung und Bekämpfung fortschrittlicher und revolutionärer Kräfte ist der mexikanische Staat vor allem tief in brutale, bürgerkriegsähnliche Kämpfe mit den mächtigen mexikanischen Drogenkartellen verstrickt, die ein riesiges ökonomisches und politisches Problem für die liberale mexikanische Bourgeoisie darstellen.

    Doch der Widerspruch zwischen Staat und Kartell war nichts, worauf sich die Zapatista ausruhen konnten. Beide Kräfte stehen solchen revolutionären und demokratischen Bestrebungen wie sie die Zapatistas verkörpern, unnachgiebig feindlich gegenüber. Und so wuchs bis heute der Druck der Narco-Banden und des Staats auf die unabhängigen Gebiete immer weiter. Unterstützend agieren dabei die USA, die vor allem die zunehmende Migration aus Südamerika über den Süden Mexikos nach Nordamerika unterbinden wollen.

    Amerika-Gipfel zu Migration – Internationalismus als Basis jeglicher Solidarität!

    Auflösung, Rückzug oder Umstrukturierung?

    Nach nunmehr fast 30 Jahren veröffentlichte die EZLN am 6. November ihre Absicht, die selbstverwalteten Gebiete in ihrer bisherigen Form aufzulösen. In dieser Erklärung Nr. 4 heißt es, dass der Druck durch die Kartelle und die regionalen Behörden und deren Söldner zu stark geworden sei. Die regionalen Städte seien nicht mehr unter Kontrolle der Zapatistas und die Lage wird als bürgerkriegsartig beschrieben. Ähnlich wie in anderen Teilen Mexikos bestimmen der Krieg mit den Kartellen und die Bandenkriminalität das alltägliche Leben der Arbeiter:innen und Bäuer:innen.

    Die „Rebellischen Autonomen Landkreise” und die „Räte der Guten Regierung” sollen daher aufgelöst werden. Dies wurde von vielen Nachrichtenseiten so aufgefasst, dass sich die EZLN auflösen könnte. Doch weit gefehlt.

    Die EZLN veröffentlichte als Reaktion darauf am 09. November ihr Communiqué Nr. 5. Darin kritisieren sie die die falsche Lesart ihrer Erklärung. In der Erklärung Nr. 4 war nicht eindeutig von einer Auflösung oder einem Rückzug die Rede, wobei der Hinweis auf die Ausbreitung der Regierung, Drogenkartelle und der USA diese Interpretation nahe legten. Zudem enthalten die Erklärungen der Zapatista an vielen Stellen mehrdeutige Referenzen und Anekdoten, deren Bedeutung nicht immer direkt deutlich wird.

    Erst mit dem Communiqué Nr. 9 vom 13. November stellte die EZLN klar, wie das mit der Auflösung der Kommunen und Räte gemeint war: Dort, wo es zuvor „dutzende” zapatistische Kommunen gegeben habe, sollen nun „tausende” lokale zapatistische Selbstverwaltungen (GAL) entstehen. Und wo es zuvor 12 Räte der Guten Regierung gab – werde es nun „hunderte” Kollektiv-Regierungen (CGAZ) geben. In einer Vollversammlung (ACGAZ) liefen alle Schnüre zusammen.

    Dieser Schritt sei eine Konsequenz aus der Entwicklung der Teilhabe zu Gunsten der Dörfer. Diesen wird nun mehr Regierungsverantwortung übertragen. Zudem könne die EZLN mit der Umstrukturierung ihre Verteidigung stärken, auch wenn die Dörfer voneinander getrennt werden sollten. Ziel der Umstrukturierung sei der Kampf gegen das System und für „Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit”.

    Die überregionale Relevanz: US-Interessen und Drogenhandel

    Die Region Chiapas liegt zentral auf einer der bedeutendsten Migrations- und Fluchtrouten der Welt. Hunderttausende Menschen migrieren jährlich aus ganz Lateinamerika in Richtung USA, um dem Elend und der Gewalt in ihren Heimatländern zu entkommen. Die Situation ist vergleichbar mit der Migration aus Teilen Afrikas und Westasiens nach Europa.

    Letztlich liegen die Gründe dafür im Imperialismus eben jener Zuflucht-Staaten. So sind es die USA, die in alle regionalen Konflikte Mittel- und Südamerikas verstrickt sind und eine weitreichende Geschichte der Unterstützung von faschistischen Militärputschen und Interventionen vor Ort haben (z.B. 1973 in Chile).

    Faschistischer Putsch in Chile vor 50 Jahren – was wir für heute daraus lernen können

    Die EZLN stellt fest, und das wohl mit einiger Richtigkeit, dass es auch hier die USA sind, die Druck auf Mexiko ausüben, um die Migration im Süden zu unterbinden. Auch eine Verbindung zu den Drogenkartellen wird nahegelegt. Die Imperialisten schrecken vor keiner Grausamkeit zurück, die Menschen, die sie andernorts ausbeuten, gleichzeitig brutal zu bekämpfen, wenn sie anklopfen.

    Darin zeigen sich einige Parallelen zum sogenannten „Flüchtlingsdeal” der EU mit der Türkei oder anderen Staaten wie Libyen und Tunesien. Die kapitalismusgemachte Massenmigration ist also ein globales Phänomen. Auf der ganzen Welt verschärft sich derzeit die Unterdrückung von Arbeiter:innen bzw. Geflüchteten.

    Auch wenn sich das Aufbauprojekt der Zapatistas in Südmexiko jetzt umstrukturiert, der Kampf ums Überleben gegenüber dem kapitalistischen mexikanischen Staat, gepaart mit den kriminell-kapitalistischen Drogenkartellen und dem Einfluss des US-Imperialismus, wird hart.

    Fest steht: Wir können viel von ihrem bisherigen Kampf und ihren Erfahrungen lernen. Und der Kampf ist noch nicht vorbei. Zudem können die Menschen, die heute etwas gegen die kapitalistischen Regierungen in ihren Ländern etwas tun möchten, zur Inspiration auf viele weitere anti-kapitalistische und sogar sozialistische Kämpfe in verschiedenen Teilen der Welt schauen.

    Freiheitskampf in Palästina und Kurdistan – warum gerade jetzt solidarisieren?

     

    • Sächsischer Perspektiveautor seit 2022 mit slawisch-jüdischem Migrationshintergrund. Geopolitik, deutsche Geschichte und der palästinensische Befreiungskampf Schwerpunkte, der Mops das Lieblingstier.

    Mehr lesen

    Perspektive Online
    direkt auf dein Handy!

    Weitere News