`
Sonntag, April 28, 2024
More

    Woher kommen der steigende Antisemitismus und antimuslimische Rassismus?

    Teilen

    In den letzten Wochen mehren sich die Berichte von steigenden antisemitischen Angriffen, u.a. von KZ-Gedenkstätten. Einen Bezug zu Bewegungen gegen den Krieg in Gaza gibt es dabei bisher wohl nicht. Gleichzeitig werden in Medien wie der BILD antimuslimische Manifeste veröffentlicht. – Eine Kommentar von Gillian Norman.

    Am 2. November richtete sich Bundesumweltminister Robert Habeck (Grüne) in einer Ansprache an die deutsche Bevölkerung, um „einen Beitrag zu leisten, die aufgeheizte öffentliche Debatte zu entwirren“. In dem 9-minütigen Video berichtet er unter anderem, dass „Kinder Angst haben zur Schule zu gehen, nicht mehr in Sportvereine gehen und auf Anraten ihrer Eltern die Kette mit dem Davidstern zu Hause lassen“. Daneben warnen jüdische Gemeinden ihre Mitglieder, bestimmte Plätze zu meiden, wie in Berlin oder München.

    Zunahme an antisemitischen Angriffen durch Faschist:innen

    Mitte Oktober hatte es in Berlin-Mitte einen versuchten Brandanschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Berlin gegeben. Täter:innen konnten bisher noch nicht ermittelt werden. Bei weiteren antisemitischen Vorfällen in Berlin, bei denen Häuser mit David-Sternen beschmiert wurden, vermuten Anwohner:innen, dass Faschist:innen hinter den Taten stecken.

    Berlin: Versuchter Brandanschlag auf jüdisches Gemeindezentrum – Solidaritätsaktionen

    Die Osnabrücker Zeitung berichtete Anfang November zugleich, dass die Übergriffe in KZ-Gedenkstätten immer weiter zunähmen: „Vandalismus durch Hakenkreuz-Schmierereien, Beschädigungen von Gedenktafeln oder Leugnung der NS-Verbrechen stellen ein Problem in einer ernsthaften Dimension dar“, sagt Oliver von Wrochem, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten, und fügt hinzu, dass die Täter meist dem rechten Spektrum zuzuordnen seien. Vorfälle, die in Bezug zur Bewegung gegen den Krieg in Gaza stehen, habe er bisher nicht beobachtet.

    Medien sprechen vor allem von muslimischem und linkem Antisemitismus

    Habeck führt die aktuell steigenden antisemitischen Angriffe vor allem auf „islamistischen Antisemitismus“ zurück und vermutet, dass „die Rechtsextremen sich gerade aus rein taktischen Gründen zurückhalten, um gegen Muslime hetzen zu können“. Daneben sei auch die politische Linke nicht frei von Antisemitismus – explizit nennt Habeck die internationale „Fridays For Future“-Bewegung.

    In verschiedenen Zeitungsberichten wird FFF mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert. Begründungen hierfür sind, wie unter anderem in einem Artikel der Tagesschau dargestellt wird, die Bezeichnung Israels als ‘Apartheidstaat’, der Vorwurf des ‘Genozids’ an den Palästinenser:innen und eine fehlende oder verspätete Verurteilung des Angriffs der Hamas.

    In den vergangenen Wochen wurde ein Großteil der pro-palästinensischen Demonstrationen gemeinsam von verschiedenen linken und fortschrittlichen Organisationen organisiert, darunter die Gruppen „Palästina Spricht“, „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“, „Samidoun“ und etliche sozialistische Organisationen. Zwar wird immer wieder berichtet, dass es auch auf pro-palästinensischen Demonstrationen zu antisemitischen Vorfällen komme. Konkrete Vorfälle von antisemitischen Übergriffen wurden dabei bisher nicht geschildert.

    Ein Großteil der Vorwürfe bezieht sich auf Parolen wie „From the river to the sea – Palestine will be free“, die mittlerweile vielerorts von der Polizei verboten werden. Auch die Meldestelle für Antisemitismus „RIAS“ stellt in einer Sammlung das Rufen von solchen Parolen auf Demonstrationen neben Vorfälle wie das Auftauchen von “Kill Jews”- und Hakenkreuz-Graffitis.

    Die Begriffe „israelfeindlich“ und „antisemitisch“ folgen in der Kritik oft aufeinander oder werden gleichgesetzt ohne konkrete Erläuterung des Zusammenhangs. Meist wird über den „israelbezogenen Antisemitismus“ auf Grundlage der IHRA-Definition gesprochen, die oft zur Delegitimierung jeglicher Israelkritik genutzt wird.

    Warum die IHRA-Definition von Antisemitismus auch jüdischen Arbeiter:innen schadet

    Habeck spricht in seiner Ansprache ausschließlich von „islamistischen Demonstrationen in Berlin und in weiteren Städten Deutschlands“. Tatsächlich gab es nur vereinzelt Demonstrationen von islamisch-fundamentalistischen Organisationen wie „Muslim Interaktiv“, die in Hamburg mit Fahnen der Taliban und Al-Qaida auf die Straße gingen.

    Eine Lehrkraft berichtet aber gegenüber dem WDR von einem zunehmenden muslimischen Antisemitismus in Schulen. Dort seien vermehrt Äußerungen gefallen wie: „Das, was die Juden machen, ist mindestens so schlimm, wie das, was die Hamas gemacht hat“.

    Antimuslimischer Rassismus wird geschürt

    Neben dem steigenden Antisemitismus ist zu beobachten, wie ein antimuslimischer Rassismus geschürt wird, indem arabische oder muslimische Menschen in Sippenhaft genommen und unter Generalverdacht gestellt werden. Habeck kritisiert beispielsweise, dass sich Muslime in Deutschland nicht ausreichend von den Taten der Hamas distanzieren würden. Der Thüringer Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer erklärt mit Blick auf die Fluchtbewegungen seit 2015 gar, dass Antisemitismus “in den Herkunftsländern zur DNA” gehöre.

    Noch weiter geht allerdings die BILD, die Ende Oktober ein antimuslimisches „Manifest“ mit dem Titel „Deutschland, wir haben ein Problem“ veröffentlichte: Darin listet die Zeitung vermeintliche Stereotype und negative Verhaltensweise von Muslimen auf und kritisiert sie, indem sie ihnen die angeblich fortschrittliche Kultur Deutschlands gegenüber stellt. Dabei werden Muslime als unzivilisierte und grundständig respektlose Menschen dargestellt, sei es im Verhalten gegenüber Frauen, dem Staat oder gegenüber Renter:innen.

    In den Statistiken des Bundesinnenministeriums der letzten Jahre zeigt sich hingegen, dass antisemitische Straftaten zum größten Teil von Faschist:innen ausgeübt werden: 2022 wurden 2.185 Straftaten der Kategorie „rechts“ zugeordnet. Der Kategorie „ausländische und religiöse Ideologien“ wurden 105 und der Kategorie „links“ 8 Taten zugerechnet.

    Bei den islamfeindlichen Straftaten zeigt sich ein ähnliches Verhältnis: Hier kamen 532 Straftaten von rechts, 24 aufgrund ausländischer und religiöser Ideologie und 5 von links. Was sowohl jüdische als auch muslimische Menschen in Deutschland also gemeinsam haben, ist eine Bedrohung, die primär von Faschist:innen ausgeht.

    • Schreibt seit 2022 für Perspektive und ist seit Ende 2023 Teil der Redaktion. Studiert Grundschullehramt in Baden-Württemberg und geht früh morgens gerne eine Runde laufen.

    Mehr lesen

    Perspektive Online
    direkt auf dein Handy!

    Weitere News